500 Kilometer, gefühlte 500 Begegnungen

Khubi? Ist alles okay? Fragt uns der Mann der aus seinem Auto ausgestiegen ist und uns an den Strassenrand gewunken hat. Wir sind auf dem Weg von Yazd nach Shiraz und schnaufen gerade den ersten Pass auf 2’638m hoch. Es sollte der erste von unzähligen Stopps am Strassenrand werden, bis wir an unserem Ziel ankommen. Ganz Iran nutzt den Urlaub über die Neujahrstage um kreuz und quer durchs Land zu fahren, Verwandte oder Sehenswürdigkeiten zu besuchen oder einfach im Grünen zu picknicken. Das Verkehrsaufkommen ist enorm und wir sind froh, wenn die Strasse über einen breiten Pannenstreifen verfügt. Hatman! Wir versichern dem besorgten Wegelagerer, dass alles okay ist, was ihn aber nicht davon abhält, uns ein frisches Brot aufzudrängen, das seine Frau ihm aus dem Wagen reicht. Winkend und hupend fahren sie schliesslich davon.

Diese Szene sollte sich so oder ähnlich noch einige Male wiederholen, manchmal bekommt Nora ein Baby in den Arm gedrückt, wir kriegen Süssigkeiten geschenkt, werden mit Tee versorgt und posieren für ein Gruppenbild mit der gesamten Familie. Wahrscheinlich grinsen wir schon von Dutzenden von Fotos auf Facebook herunter.

Eine der unzähligen Stopps am Strassenrand - Familie aus Shiraz

Eine der unzähligen Stopps am Strassenrand – Familie aus Shiraz

Erleichtert erreichen wir Mitte Nachmittag die erste Passhöhe und kriegen als Belohnung eine wunderbare Aussicht auf die vor uns liegende Halbwüste. In der Distanz sehen wir die Zagros Berge, die uns noch von Shiraz trennen und dazwischen die schnurgerade Strasse, die uns am nächsten Tag bevorsteht. Über 55km ohne Siedlungen, ohne Wasser und ohne Schatten. Die Sonne stellt uns aber noch vor keine Probleme, im Gegenteil, es ist immer noch überraschend kalt, besonders in der Nacht.

Aufstieg zum ersten Pass - rechts im Hintergrund ist der "Eagle Rock" erkennbar, eine wie ein Adler geformte Felsformation

Aufstieg zum ersten Pass – rechts im Hintergrund ist der “Eagle Rock” erkennbar, eine wie ein Adler geformte Felsformation

Unser dritter Platten erwischt wieder Noras Hinterrad

Unser dritter Platten erwischt wieder Noras Hinterrad

Der Übeltäter ist ein langer Nagel - wir tauschen den kompletten Schlauch

Der Übeltäter ist ein langer Nagel – wir tauschen den kompletten Schlauch

Abfahrt vom Pass in die Ebene

Abfahrt vom Pass in die Ebene

Wir hoffen deshalb auf eine Übernachtungsmöglichkeit in der Moschee des letzten Ortes vor der Wüste, in welches wir nun hineinrollen. Ein Hotel oder eine einfache Herberge gibt es in dem 2’000-Seelen Ort jedenfalls nicht. Wir fragen eine Gruppe Männer die beim Dorfladen herumsitzen und erhalten sogleich eine Einladung, um bei einem von ihnen zu Hause zu übernachten. Hamid kann leider kein Englisch, aber sein Freund Alireza, ein Englischstudent, bietet sich an, den Dolmetscher zu spielen. Wir folgen ihnen zu seinem einfachen Haus, wo seine Frau Mehri und die kleine Tochter Fatemeh bereits auf uns warten. Mit zwei mit Teppich ausgelegten Zimmern und einer grossen Küche ist es eines der grösseren Häuser, in denen wir bisher eingeladen waren. Wie üblich sind die einzigen Möbelstücke ein Regal und ein Fernseher, es gibt kein Tisch und keine Betten, das Leben spielt sich am Boden ab.

Einmal mehr sind wir dankbar über die Gastfreundschaft der Iraner, im Zelt hätten wir wohl die ganze Nacht gefroren. So aber hocken wir in Hamid’s gasbeheizten Stube, kriegen pausenlos Chai serviert und dazu die unglaublich zuckrigen Yazdi-Süssigkeiten, welche über die Nouruz Festtage verteilt werden. Natürlich werden wir ausführlich ausgefragt, nutzen aber unsererseits die Englischkenntnisse von Alireza und erfahren so interessante Details über das Leben der ländlichen, eher konservativen Bevölkerung Irans.

Gastfreundliche Familie mit bescheidenem Heim

Gastfreundliche Familie mit bescheidenem Heim

Hamid und Alireza lassen es sich auch nicht nehmen, allen Dorfbewohnern mitzuteilen, dass sie ausländische Gäste beherbergen – wir brechen auf zu einem Dorfrundgang. Zunächst zu Fuss, bis wir vom Buchhaltungs-Studenten Saeid in seinem Auto aufgegabelt werden und die Runde in seinem Auto fortsetzen. Wir besuchen den Dorfmetzger mit gerade geschlachtetem Schaf, der aber auch ein begnadeter Sänger ist und u.a. bei Bestattungszeremonien für den religiösen Klagegesang herbeigerufen wird. Dann lernen wir den Besitzer des Dorfladens kennen, wie auch den Früchteverkäufer, bevor wir zum Bäcker weiterfahren, der gerade sein Korn am mahlen ist, natürlich nicht ohne zuerst an der Polizeistation, der Schule, der Sporthalle, der Moschee und dem alten Fort vorbeigefahren zu sein. Nachdem wir auch noch einen Tee bei Saeids Familie genommen, bei Alirezas Mutter vorbeigeschaut, sowie die beiden 94jährigen Urgrosseltern (die noch alleine wohnen) begrüsst hatten, kannten wir wohl das halbe Dorf. Erschöpft von dem langen Velotag und dem intensiven sozialen Abend fallen wir schlussendlich todmüde auf die am Boden ausgelegten Decken.

Tags darauf verabschieden wir uns von unseren Gastgebern und durchqueren die Halbwüste, wiederum unterbrochen von zahlreichen Fotostopps und Interviews. Der Wind ist auf unserer Seite und schon bald erreichen wir mit dem Wüstenort Abarkooh die erste Ortschaft nach dem Wüstenabschnitt. Auch hier beeindruckt uns die typische Wüstenarchitektur und die uralten Gebäude im alten Teil der Stadt. Uralt ist auch der riesige Zypressenbaum am Rande des Dorfs, ganze 3’000 Jahre soll er bereits auf dem Buckel haben.

Durch die Wüste nach Abarkooh

Durch die Wüste nach Abarkooh

Im Sommer wird es hier siedend heiss

Im Sommer wird es hier siedend heiss

Mittagsrastplatz

Mittagsrastplatz

Abarkooh überrascht mit seinem alten Quartier..

Abarkooh überrascht mit seinem alten Quartier..

..das durchaus noch bewohnt ist.

..das durchaus noch bewohnt ist.

Der Ort ist uns sympathisch so dass wir beschliessen, die Nacht hier zu verbringen. Dass das einzige Hotel im Ort wohl schon vor einiger Zeit geschlossen wurde macht nichts – wir gesellen uns zu den reisenden Familien, die im Stadtpark picknicken. Jede Familie hat neben dem Gaskocher für den Tee und den Teppich, um darauf zu sitzen, mindestens eines dieser sogenannten Wurfzelte dabei. In den wärmeren Monaten und speziell während Nouruz werden die Stadtparks auch gerne als Campingplatz gebraucht. Es gibt fliessend Wasser wie auch Toiletten und die patrouillierende Polizei hat auch nichts dagegen. Also stellen wir unser Zelt neben den anderen auf und machen uns schon bald an die Zubereitung unseres Abendessens. Leider stellt sich jedoch heraus, dass unser Benzinkocher ausgestiegen ist und wir schaffen es nicht, ihn wieder in Betrieb zu bringen. Glücklicherweise besteht der Stadtpark aber aus vielen Bäumen und so sammeln wir Holz und bereiten unser Essen auf dem Lagerfeuer zu.

Übernachtung im Stadtpark

Übernachtung im Stadtpark

Die Interviews und der Adressenaustausch ging den ganzen Abend. Erst als es dunkel wurde, hatten wir unsere Ruhe ;)

Die Interviews und der Adressenaustausch ging den ganzen Abend. Erst als es dunkel wurde, hatten wir unsere Ruhe 😉

Auf dem neu entfachten Feuer brauen wir am nächsten Morgen unseren Kaffee und machen ein Porridge zum Frühstück bevor wir das Zelt abbrechen und uns auf den Weg in die Zagros Berge machen. Zuvor besorgen wir uns aber noch Brot und Frischkäse für den Lunch. Beim Bäcker stehen einige Leute Schlange und ich stelle mich hinten an. Meine Präsenz bleibt jedoch nicht unbemerkt und einer der Wartenden fragt mich mit Handzeichen, wie viele Brotfladen ich denn möchte. Vielleicht ist es die lachhafte Anzahl von drei Stück Brot, vielleicht aber auch einfach die unglaubliche Freundlichkeit der Iraner, oder auch beides. Jedenfalls kriege ich, vor allen anderen, die nächsten drei frisch aus dem Ofen kommenden Brote in die Hand gedrückt und darf nicht mal dafür bezahlen.

Wüstenstrasse

Wüstenstrasse

Die Wüstenlandschaft macht schon bald den ersten Ausläufern der Berge Platz und es geht wieder stetig hoch. Das ständige, freundliche gemeinte Gehupe der vorbeifahrenden Autos zerrt aber an unseren Nerven und so stopfen wir uns mal wieder Papiertaschentücher in die Ohren. Etwas erschöpft erreichen wir das Örtchen Surmaq, wo sich die Strassen nach Yazd, Shiraz und auch Esfahan treffen. Wir sehnen uns nach einem bequemen Bett und fragen bei der Polizeistation nach einem Hotel im Ort. Dieses entpuppt sich aber als Restaurant, welches im hinteren Teil des Gebäudes leerstehende Räume vermietet. Der Raum besteht eigentlich nur aus einem Ofen und einem Teppich am Boden. Betten? Fehlanzeige! Vielleicht wären wir darauf eingegangen, wenn die Halsabschneider nicht einen Wucherpreis dafür verlangt hätten. Klar, die Preise steigen wegen der erhöhten Nachfrage während diesen Tagen, aber sie verlangen schlicht zu viel. Zwar senken sie den Preis dann noch auf weniger als die Hälfte, aber uns ist die Lust vergangen. Glücklicherweise erinneren wir uns noch an einen Hinweis in einem anderen Velo-Blog. Dabei wurde ein ehemaliger iranischer Rennvelofahrer erwähnt, der in dieser Gegend Fahrradtouristen bei sich zu Hause aufnimmt. Und tatsächlich finden wir etwas ausserhalb des Dorfes die Farm von Sasan, der uns sogleich herzlich bei sich aufnimmt. Seit über 20 Jahren beherbergt er immer wieder vorbeikommende Reisende, früher habe er regelrecht „Jagd“ auf Touristen gemacht, jetzt sei er aber zu alt dafür. Er zeigt uns seine Gästebücher und mit grossem Interesse lesen wir Einträge von Besuchern aus aller Welt, welche teilweise schon 1994 mit dem Fahrrad hier vorbeigekommen waren.

Wir geniessen seine herzliche Gastfreundschaft, bestaunen seine grosse Farm auf der er nebst Weinreben auch verschiedenste Obstbäume angepflanzt hat, lauschen den Erzählungen seiner Zeit als Rennvelofahrer und sind beeindruckt von seinem Interesse an Ausländern, seinem Zugang zur Welt. Ohne weiteres Aufheben überlässt er uns sein Farmhaus für die Nacht, während er zu seinem Haus in einem Nebenort fährt. Am nächsten Morgen steht er wieder da und macht uns Frühstück, ein unglaublich grosszügiger Mensch. Wir sind doppelt froh, nicht in dem überteuerten „Hotel“ untergekommen zu sein.

Grosszügiger Gastgeber Sasan

Grosszügiger Gastgeber Sasan

Seine Farm ist beeindruckend - hier wachsen auch noch Weintrauben

Seine Farm ist beeindruckend – hier wachsen auch noch Weintrauben

Weiter Richtung Horizont, durch das Zargos Gebirge

Weiter Richtung Horizont, durch das Zargos Gebirge

Gestärkt durch das ungewohnt deftige Frühstück und die bereichernde Begegnung radeln wir energiegeladen auf den nächsten Pass zu. Wieder geht es auf 2’551m, aber die Steigung ist sanft und die Strasse schnurgerade. Unsere Gespräche flauen ab und wir verfallen in eine Art Autopilot-Modus, die Beine trampen fast von selbst, die hupenden Autos werden leiser, Scherben sowie Metallteilen wird automatisch ausgewichen. Der Kopf wird frei und lässt Platz für neue Gedanken – Gesprächsfetzen mit Sasan gehen uns durch den Kopf. You are doing the right thing, life is now, why should you work and save money for later? You two have a very positive energy around you. While travelling, you make a new friend every day. Dann schweifen die Gedanken nach Hause, zu unseren Eltern und Geschwistern, zu Noras Eltern, welche nun auf dem Weg zu uns sind, unseren Freunden, unseren Bürokollegen, unserem Leben damals zu Hause und unserem Leben jetzt. Noras Gespräch mit einer an ihrer Doktorarbeit schreibenden jungen Frau im Nachtbus nach Yazd schiesst mir durch den Kopf: Sie habe noch nie etwas von einem Burn-Out Syndrom gehört. Was läuft schief in unserer westlichen Gesellschaft? Bald jährt sich unser Start in dieses Veloabenteuer, was haben wir schon alles erlebt und gelernt, wohin wird es uns noch verschlagen, was kommt noch alles auf uns zu? Wie lange fahren wir noch weiter und was kommt danach…?

Eine abrupte Steigung der Strasse reisst uns wieder aus unseren Gedanken, der letzte Teil des Passes ist wie immer der steilste. Langsam schnaufen wir Höhenmeter um Höhenmeter hinauf, stetig begleitet vom zögerlichen Hupen der mit Ziegelsteinen oder Marmorblöcken beladenen Lastwagen, die nur ein wenig schneller sind als wir und sich wahrscheinlich darüber freuen, nicht die langsamsten zu sein. Auf der Passhöhe weht ein kalter Wind und wir ziehen sogleich mehrere Kleiderschichten zusätzlich an, um uns während der Abfahrt nicht zu erkälten. Auf der Passhöhe hat es eine Station des Roten Halbmondes (Äquivalent zum Roten Kreuz), und wir beschliessen daneben im Windschatten noch etwas zu essen. Pejman, einer der jungen Sanitäter hat uns aber beobachtet und bittet uns statt dessen hinein in die beheizten Räume. Dankbar nehmen wir an, denn so können wir gleich die verschwitzten Kleider trocknen. Nebenbei erzählt er uns von seinem Leben als Sanitäter-Student, aber auch von seinen Eltern, die noch als Nomaden des Qashkai Stammes durch die Berge zogen. Er lebe zwar in einer Stadt, ist aber wohl wegen seiner Abstammung in der Natur bei Wind und Wetter am glücklichsten.

Auch er hat seine liebe Mühe mit dem System im Iran, fühlt sich wie in einem Käfig, hat keine Aussichten Geld zu sparen und zu reisen, denn einen Pass erhält er nicht ausgestellt solange er den militärischen Dienst nicht komplett absolviert hat.

Hilfsbereiter Mitarbeiter des Roten Halbmondes

Hilfsbereiter Mitarbeiter des Roten Halbmondes

Nachdenklich fahren wir vom Pass herunter in das kleine Dorf Safa Shahr, dank Pejman haben wir erfahren, dass es dort eine einfache Herberge gibt. Zum Glück, denn auf Camping haben wir in dieser Höhe wenig Lust und eine Dusche ist auch wieder einmal nötig. Die Unterkunft hätten wir ohne fremde Hilfe jedoch niemals gefunden, ein darauf angesprochener Passant bringt uns hin und verlässt uns erst wieder, nachdem alles geklärt ist. Das Zimmer hat zwar steinharte Matratzen, sodass wir trotzdem wieder unsere aufblasbaren Matten ausrollen, aber dafür einen Gaskocher. So können wir wenigstens unseren defekten Benzinkocher für diesen Abend ersetzen und uns etwas Warmes zu Abend kochen.

Wer hätte diese Herberge gefunden? (der schmale Teil links)

Wer hätte diese Herberge gefunden? (der schmale Teil links)

Mehr Apartment als Zimmer - wir breiten uns aus

Mehr Apartment als Zimmer – wir breiten uns aus

Als wir am nächsten Morgen wieder etwas Brot für unterwegs kaufen wollen, merken wir dass die Läden allesamt geschlossen sind, es ist Freitag (also Sonntag). Wir stehen aber noch keine 30 Sekunden vor der geschlossenen Bäckerei, als drei Jungs auf einem Motorrad (ja, das ist normal hier) daherkommen und uns zu verstehen geben, dass sie uns zu einem Bäcker führen würden, der offen hat. Kurz bevor wir diesen aber erreichen, stoppt uns ein weiterer Motorradfahrer, der irgendwie mitbekommen hat, dass wir auf der Suche nach Brot sind und drückt uns kurzerhand ein Riesenbündel Brot in die Hand. Bezahlen? Unmöglich. Er lässt uns sprachlos stehen und fährt lachend davon.

Entschleunigter Veloalltag - slow down, take it easy

Entschleunigter Veloalltag – slow down, take it easy

Ruhige Nebenstrasse nach Pasargadae

Ruhige Nebenstrasse nach Pasargadae

Nachdem wir den grössten Teil der Strecke bisher auf der Autobahn fahren mussten, können wir nun erstmals auf eine Nebenstrasse ausweichen. Dabei handelt es sich um die alte Hauptstrasse, welche seit dem Bau der Autobahn nicht mehr gewartet wurde und in entsprechend schlechtem Zustand ist. Aber wir geniessen dafür eine herrliche Ruhe und wären so ziemlich entspannt in der historischen Stätte Pasargadae angekommen, hätte uns ein fieser Gegenwind nicht etwas die Freude genommen. Pasargadae ist neben Persepolis eines der kulturellen Highlights im Iran. Hier liegt Cyrus der Grosse begraben, von der einstigen Stadt ist jedoch nicht mehr viel übrig. Von einer Besichtigung sehen wir kurzerhand ab, als wir die zahlreichen iranischen Besucher erblicken. Wir haben uns erhofft, dass hier eine Art Zeltstadt bestünde, da sicher viele Familien hier übernachten wollen, können aber nichts dergleichen entdecken. Wir fühlen uns auch nicht richtig wohl hier und fahren darum nochmals einige Kilometer gegen den Wind weiter, bis wir eine Autobahn-Raststätte erreichen. Auch hier sind keine Zelte zu sehen und langsam dunkelt es ein. Mit dem Sonnenuntergang kommt auch die Kälte und wir sind überrascht wie kalt es noch immer ist, wohl weil wir uns noch immer auf ca. 1’800m befinden. Wir versuchen unser Glück bei einem kleinen Container des Roten Halbmondes und hoffen, dass die Sanitäter eine gute Idee parat haben. Die vier Jungs sind gar nicht überrascht uns zu sehen und stellen uns spontan ihren Schlafcontainer zur Verfügung, sie würden im zweiten Container schlafen, kein Problem! Wir sind überglücklich, dass wir nicht draussen schlafen müssen und bedanken uns herzlich. Zwar sind später am Abend doch noch ein paar Zelte aufgetaucht, aber mit unserem Equipment wären wir wohl etwas ans Limit gekommen, da es in der Nacht nur noch wenige Grade über Null hatte.

Die Jungs vom Roten Halbmond sind super!

Die Jungs vom Roten Halbmond sind super!

In dem Container verbrachten wir die Nacht einigermassen warm

In dem Container verbrachten wir die Nacht einigermassen warm

Wärmer wird es dann endlich am Tag darauf. Von Pasargadae geht es nochmals zweihundert Höhenmeter herunter bis nach Persepolis. Wiederum erwischen wir eine Nebenstrasse und sind froh nicht auf der Autobahn fahren zu müssen. Durch einen engen Canyon erreichen wir überraschend ein fruchtbares, grünes Tal, links und rechts flankiert von Bergen. Ein herrlicher Anblick, das intensive frühlingshafte Grün tut unseren Augen nach den vielen braunen Landschaften richtig gut und wir fahren begleitet von Vogelgezwitscher durch den Frühling bis auf das Areal von Persepolis. Auch hier ist der Bär los. Tausende Autos drängen sich auf den engen Zufahrtsstrassen zu den Parkplätzen, neben der Hauptattraktion herrscht in der umliegenden Parkanlage Jahrmarktstimmung. Pferdekutschen stehen für eine Rundfahrt bereit, Kamele schauen gelangweilt drein während sich zahlungswillige Kundschaft auf deren Rücken fotografieren lässt und Stände mit traditionellen Kostümen bieten die Möglichkeit, sich als persischer Krieger oder Prinzessin zu verkleiden.

Hinein in den Frühling!

Hinein in den Frühling!

Hochbetrieb in Persepolis, Menschenmassen vor dem Eingang

Hochbetrieb in Persepolis, Menschenmassen vor dem Eingang

Wir fragen herum und kriegen vom Nachtwächter die Erlaubnis, unser Zelt mitten in der Parkanlage gleich hinter seinem Wächterhäuschen aufzustellen. Hier fand 1971 der Event statt, der dem damaligen Shah wohl das Genick brach und einige Jahre später die Pahlavi Dynastie beendete. Unter dem Motto „2’500 Jahre Persische Monarchie“ liess er diese umfangreiche Parkanlage erstellen und Luxuszelte für die internationalen Gäste errichten. Diese masslose Verschwendung empörte die Iraner und mehr und mehr Widerstand regte sich, bis schliesslich 1979 die Bevölkerung auf die Strasse ging und den Shah stürzte.

Camping im Park des Shahs

Camping im Park des Shahs

Wieder helfen wir uns mit einem Lagerfeuer, da der Benzinkocher kaputt ist

Wieder helfen wir uns mit einem Lagerfeuer, da der Benzinkocher kaputt ist

Schliesslich erreichen wir zum zweiten Mal Shiraz, die Stadt der Gärten, die uns beim letzten Besuch im Januar nicht ganz überzeugen konnte. Vielleicht lag es am Schnee und Matsch, an der Kälte und der fehlenden Sonne. Diesmal jedenfalls empfängt uns Shiraz mit einem herrlichen Frühlingstag, die Bäume tragen bereits ein hellgrünes Blätterkleid und die Menschenmassen, die durch die Strassen und Bazare wandern, sind guter Stimmung – eine komplett andere Stadt als letztes Mal. Wir reiben uns die Augen als wir auf die letzten Tage zurückblicken, die intensiven Tage voller Begegnungen und Überraschungen. Ist das wirklich alles passiert? Noch nie haben wir innert so kurzer Zeit an solch unterschiedlichen Orten geschlafen.

Wir sind froh nochmals bei wärmeren Temperaturen mit dem Velo im Iran unterwegs gewesen zu sein. Der Unterschied zum Winter ist enorm, die Frühlingstemperaturen sowie die Urlaubszeit über die Neujahrstage bescherten uns unzählige Begegnungen mit iranischen Familien aus dem ganzen Land. Wir haben so viele Telefonnummern und Adressen zugesteckt bekommen, dass wir in praktisch jeder grösseren Stadt mehrere Besuche machen könnten.

Mit der Ankunft von Noras Eltern am frühen Freitagmorgen werden wir die Velos für einige Zeit ruhen lassen und zu viert das Land per Bus erkunden. Wir sind gespannt wie sich die anderen Städte im Frühling präsentieren und freuen uns auf die kommenden Wochen.

P.S.: Die Visa für Usbekistan und Tadjikistan konnten wir in Tehran erfolgreich beantragen. Das knifflige Turkmenistan Visa gehen wir beim nächsten Besuch in der Hauptstadt an.

Das neue Jahr wird traditionellerweise mit den "Haft Seen", den sieben mit S beginnenden Dinge symbolisiert

Das neue Jahr wird traditionellerweise mit den “Haft Seen”, den sieben mit S beginnenden Dinge symbolisiert

Der Goldfisch wird erst seit kurzer Zeit als Zeichen der Frische verwendet

Der Goldfisch wird erst seit kurzer Zeit als Zeichen der Frische verwendet

5 thoughts on “500 Kilometer, gefühlte 500 Begegnungen

  1. Huhu Travelos
    Danke für dä neui Bricht! Juhuiii – ha mi sehr gfreut und är isch wieder so spannend. Die Begägnige und die Gaschtfründschaft beeindrucke mi.
    Euri Unterkünft sind jo au richtig zum schmunzle…do wärdet ihr no oft drüber lache…
    Ich wünsch euch morn es schöns Wiedersehe mit Guido und Franziska.
    En Umarmig

  2. Hallo ihr Zwei, ihr seid schon richtige Überlebenskünstler geworden, reif für ein Urwaldcamp: riesige Nägel im Veloschlauch, kein Problem, Benzinkocher kaputt, kein Problem, am Boden schlafen, kein Problem, etc. Aber eines stelle ich fest: ohne hilfreiche Mitmenschen, käme man dann schnell an die eigenen Grenzen. Hier haben wir das weitestgehend vergessen, weil wir immer alles haben wollen, um ja nicht auf andere angewiesen zu sein. Der Bericht ist sehr spannend!!! Ich mag mich noch sehr gut an die Berichte in den Zeitungen erinnern (1971) über die Festivitäten “2500 Jahre Persepolis”, mit all den Bildern von Pomp und Pracht und der eingerichteten Luxus-Zeltstadt für die “hohen” Gäste. Wenn ich “Persepolis” höre, ist das in meinem Kopf immer mit diesen Bildern verbunden. Und immer wieder staune ich über die Einfachheit des Lebens der Menschen dort: fast kein Mobiliar in den Häusern, vieles spielt sich einfach am Boden ab. Ha,Ha, sie müssen dann nicht viel entsorgen, wenn es mal so weit ist…. Bei meinem Block-Umbau vor 3 Jahren waren die hingestellten Container für Entsorgung von Altem (oder was man glaubt, sei alt..) jeweils über-über randvoll, und das bei nacheinander 12 Containern. Hebets guet Mary-Jones

  3. Sali zäme

    Auch wenn ich vom ersten Teil eurer Reise ja schon von der Gastfreundschaft der Iraner gelesen habe, bin ich immer wieder überrascht, wie freundlich ihr empfangen werdet und wie hilfsbereit alle sind.
    Ich bin auch sehr froh, dass es euch nach fast einem Jahr Reisen immer noch sehr gut geht 🙂

    Ganz liebe Grüsse und eine schöne Zeit mit Franziska und Guido

    Claudia

  4. Hoi zäme

    Schön, dass dir dr Iran jetzt au no im Früelig chönet gniesse. Eifach toll was dir an Gastfründschaft erläbet.

    Liebi Grüess us New York 🙂

  5. Halloo Ihr Liebe
    was doch alles möglig isch: uf die hoche Päss, bi winterlicher Kälti alles mit Velo und Gepäck. Zum Glügg gits überall hilfsbereiti Mitmensche wo bis anhin Euch so liebevoll gholfe händ. Dangge wieder härzlig für Euri Bemühige uns mitreise zloh 🙂
    Aber i bin glich froh, händ mir do so ä wunderschöni, üppigi Früehligszyt mit so anere härrlige Blüetepracht: Kirsibaeum, Öpfelbäum. nebscht sunschtige farbeprächige Blüete und Blueme und äs isch bereits dä Flieder am blühe. Jo mir händs würglig paradiesisch wenn i die bruune Landschafte gseh uf euere Reis. Nur isches mängmol halt nüme so schpeziell für uns. Aber bi däm vergliiche isches sehr ufffallend.
    Bin froh, dass ihr vier nun chöned wiiterreise und bis anhin alles klappt hät.
    ä wunderschöni Neujohrszyt wiiterhin und viil Schöns und hoffentlig au wiedermol ächli farbigs 🙂
    Liebi diggi Umarmige

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert