Es fällt uns allen schwer, Bira zu verlassen. Amira kann ihre neu gewonnenen Freundinnen Resty und Catrin kaum loslassen. Sarina hat auch Mühe die Mädchen zu verabschieden, ist jedoch genauso motiviert, weiterzufahren. Mir fällt es schwer, dass nun die letzte Etappe beginnt. Miguel hält die Truppe emotional beisammen und schaut, dass wir trotzdem alle irgendwie aufs Velo kommen, uns mit vielen Umarmungen von allen im Hotel verabschieden und dann schon bald aus Bira herausrollen. Es erwartet uns als netter Start ein Hügel – der gleiche Hügel, über den wir schon auf dem Hinweg fahren mussten, denn die ersten 20km müssen wir die gleiche Strecke zurückfahren. Die Anstrengung lenkt uns ab und die Freude am Unterwegssein steigt wieder, Radio Amira schaltet sich ein und singt das erste Lied, Sarina plaudert fröhlich und wir beide trampen und hängen unseren Gedanken nach.




In Bulukumba, dem nächsten Ort, spazieren wir zum Sonnenuntergang in den Stadtpark. Sofort haben wir die Aufmerksamkeit von allen erweckt, denn zahlreiche Menschen haben sich um die Essensstände versammelt, die hier dem Park entlang stehen. Bald ist iftar, das Fastenbrechen am Abend. Und tatsächlich hören wir schon bald den Muezzinruf, die Menschen setzen sich an kleine Tische und brechen das Fasten mit Wasser, Datteln, etwas Süssem und Salzigem. Danach gibt es Abendessen. Von mehreren Tischen winken uns die Menschen zu, wir sollen auch kommen und uns dazusetzen, denn iftar ist ein geselliger Moment. Wir lehnen ab, denn zahlreiche Kinder umringen uns weiterhin, stellen viele Fragen und Amira und Sarina machen sofort Bekanntschaft mit ihnen. Ich finde spannend, was die indonesischen Kinder für Fragen stellen: Gibt es in der Schweiz auch Klimaanlagen? Oder Ventilatoren? Was, Jacken und Schal und Handschuhe tragt ihr im Winter? Sooo kalt?!? Gibt es auch Computer? Gibt es viele Kinder? Fasten wir auch? So bleiben wir lange bei dieser interessierten Kindergruppe hängen, während Amira und Sarina mit ein, zwei Mädchen Hand in Hand im Park herumgehen und irgendetwas spielen.
Wir staunen, wie schnell unsere Mädchen mittlerweile mit anderen Kindern in Kontakt kommen und ins Spiel finden. Kamen sie zu Beginn der Reise nach jeder Minute unsicher zu uns, um zu fragen wie man dieses oder jenes auf Englisch oder Indonesisch sagt, kommunizieren sie nun ganz selbstverständlich mit Gesten und 10 Wörtern Englisch oder Indonesisch. Dieses Gefühl von fremd sein, die Ausnahme sein, Dinge anders tun und keine gemeinsame Sprache zu haben mussten sie erst verarbeiten. Es ist wie ein Herantasten an das Fremde, an dieses zunächst unangenehme Gefühl, anders zu sein und aufzufallen. Und dann zu realisieren, dass mit Offenheit, einem Lachen und viel Toleranz dieses Gefühl von auch in der Fremde Aufgehobensein entsteht. Aufgehoben in der Welt, in der Fremde, immer wieder auf nette Menschen zu treffen, die es gut mit einem meinen. Die Vielfalt der Welt zu erfahren: Das tropische Klima zu spüren, wo es kein kalt gibt. Von einer anderen Religion umgeben zu sein, die für die Mädchen viele Fragen aufwirft: Warum beten Männer und Frauen nicht gemeinsam, sondern hintereinander? Warum zeigen die Frauen ihre Haare nicht? Klettert der Muezzin für den Ruf immer aufs Minarett hoch? Einen ganzen Monat fasten! Wieso? Sie haben viele, viele Fragen. Einmal mehr realisieren wir was es für ein Geschenk ist, die Vielfalt der Welt zu erleben. Zu spüren, dass das, was wir für richtig halten und gewohnt sind, nur einen kleinen Teil darstellt und es noch so vieles andere gibt. Dies zu entdecken und einzutauchen in eine andere Welt ist eine grosse Bereicherung für uns beim Reisen.


Inzwischen ist Ramadan und es ist spannend, wie dieser Monat die Atmosphäre in einem Land verändert. Tagsüber ist es ruhiger, viele Geschäfte sind geschlossen, die Restaurants und Essensstände sowieso. Die Essenssuche gestaltet sich für uns schwieriger. In den Unterkünften wird während dem Ramadan das Frühstück direkt aufs Zimmer gebracht, meist klopft es dann schon um 6.30 Uhr und es wird uns ein Tablett ins Zimmer gereicht: Nasi Goreng mit frittiertem Ei. Am frühen Nachmittag gibt es jeweils ganz vereinzelt Strassenstände, die Jalangkote (frittierte, vegetarische Dumplings) oder Pisang Ijo (Bananen in einer grünen Pandanteig-Panade) anbieten. Das ist dann meist unser Mittagessen. Gegen Abend spüren wir richtiggehend, wie die Spannung um uns herum ansteigt: Kurz vor Sonnenuntergang sind alle unterwegs und wollen von hier nach dort, um pünktlich zum iftar zu sein. Ein riesiges Gewusel ist dann in den Strassen. Wenn der Muezzin kurz später ruft und das Fasten für den Tag beendet ist, wird es schlagartig ruhig in den Strassen, fast niemand ist mehr unterwegs. Die Restaurants und Warungs sind voller Menschen.


Irgendwann ist er da, unser letzter Velotag: Wir erreichen Makassar. Konnten wir uns vor drei Monaten in Manado noch kaum vorstellen, so weit zu kommen, sind wir nun tatsächlich eingerollt in diese Stadt. Wir sind selbst etwas erstaunt, so weit gekommen zu sein, aber auch stolz, besonders auf die Mädchen. Natürlich haben wir sie mehr gezogen als sie selber pedalten auf ihren Velos, aber auch so haben sie viele Stunden im Sattel verbracht, Tiere oder Moscheen gezählt, den Leuten gewunken, gesungen oder einfach ihren Gedanken nachgehangen.


In Makassar treffen wir Illy wieder. Ihn hatten wir vor ein paar Wochen in Watampone kennengelernt, als er uns im Hotel ansprach. Damals verabschiedete er sich von uns mit der Bitte, ihn zu kontaktieren, wenn wir in Makassar sind. Das tun wir gerne und treffen ihn zum Abendessen. Mit seinen beiden Töchtern holt er uns ab und wir gehen in ein Restaurant, wo wir uns an den Tisch setzen und noch 40 Minuten warten. Das Essen steht schon eine Weile vor uns, wird langsam kalt, aber wir warten gemeinsam bis der Muezzinruf zu hören ist und damit Zeit für iftar. Die Zeit vergeht rasch, Illy und seine ältere Tochter haben tausend Fragen an uns, können kaum glauben wie wir in Sulawesi mit den Velos unterwegs waren und wollen alles ganz genau wissen. Illy, mit seiner Neugier und Offenheit, nimmt es auch Wunder wie uns unsere Reisen verändert haben und was uns so gut gefällt an der Welt. Es ist ein spannendes Gespräch mit ihnen und wir haben Freude am Austausch.

Illy will uns gerne am Folgetag noch auf einen Ausflug in eine nahgelegene Karstregion einladen. Wir lieben Karstregionen und sind ganz erstaunt, dass es so nahe bei Makassar Karst geben soll. So holt er uns am nächsten Morgen ab, mit dabei sind auch seine Frau Sirly und seine kleine Tochter Ruby. Tatsächlich zeigen sich nach einer knappen Stunde Fahrt Karsthügel und wir fahren immer näher darauf zu. Wir steigen in ein Boot um und fahren entlang einer idyllischen Wasserstrasse durch eine Mangrovenlandschaft, passieren dabei versteckte Tunnel durch Felsformationen und kommen dabei immer näher zu den Felsen nach Rammang-Rammang. Wunderschöne Natur finden wir dort vor und Illy erklärt uns alles über diese Region. Zum Mittagessen findet er einen Ort für uns wo es eine Nudelsuppe gibt, er selbst und seine Frau fasten den ganzen Tag. So essen nur wir und Ruby. Die beiden trinken auch nichts den ganzen Tag und wir staunen, wie man das in diesem Klima aushält. Dafür sind ihnen die Gebetszeiten wichtig, für das Mittags- und Nachmittagsgebet besuchen sie jeweils die lokale Moschee für ihr Gebet. Wir warten dann jeweils mit Ruby, bis sie wieder zu uns stossen. Nach der Karstregion zeigen sie uns noch den Ort Leang-Leang, wo es prähistorische Höhlenmalereien gibt. Pünktlich zum iftar sind wir zurück in der Stadt, wo sie uns noch zu einem Gado-Gado einladen, eines unserer Lieblingsessen in Indonesien. Es ist ein wunderschöner Tag mit ihnen und wir geniessen die guten Gespräche. Einmal mehr sind wir dankbar, auf solche Menschen zu treffen.








Und nun kommt diese Reise zu einem Ende. Der Abschied naht, wir müssen loslassen. Es fällt uns, mir, nicht leicht. Abschied vom Reisen (für den Moment) und Abschied von Indonesien. Reisen intensiviert so vieles, finde ich. Und mit dem Velo reisen nochmals mehr, weil noch die körperliche Komponente und die Nähe zu allem dazukommt. Kein Verstecken, kein noch rasch 30km weiterfahren, weil es uns hier nicht gefällt, kein Scheibenhochfahren, wenn man genug hat von Hello Mister! Der Moment umgibt uns immer. Das ist wunderschön, bereichernd, erfüllend und unglaublich intensiv. Aber manchmal auch genauso anstrengend, wenn man auf den letzten Kilometern vom Tag noch das gefühlt tausendste Hello zurückruft. Wir hatten kleine Krisen, weil die Reise Miguel und mich manchmal zu sehr an unsere zweisame, lange Veloreise erinnerte, kinderlos und vogelfrei, die komplette Freiheit, ohne Endpunkt, ohne Kinderbedürfnisse. Aber jetzt zu Viert auch Momente voller Stolz, so unterwegs zu sein, auch anstrengende Tage gemeinsam zu schaffen und etwas zu erreichen. Wir waren glücklich in den unzähligen Momenten «zum bhalte». Und sind dankbar dafür, hier sein zu dürfen und gesund zu sein. Was für ein Privileg, eine solche Reise machen zu können.


Wir sind berührt von der Grosszügigkeit und Offenheit der Menschen. Von ihrem Lachen, in so vielen Situationen. Von ihrer Gastfreundschaft, uns ohne viele Fragen für eine Nacht aufzunehmen, uns Essen anzubieten, ohne wirklich zu wissen oder sprachlich zu verstehen, wer wir genau sind. Und genauso beeindruckt von ihrer Unkompliziertheit: Ohne viel Aufhebens Gäste zu haben, kein Extramenü, Aufräumen oder Putzen, manchmal ein Bett, manchmal ein leerer Raum – aber immer und überall ein Herzlich Willkommen. Wir staunen aber auch, dass sie sich einfach Zeit nehmen können und nie im Stress sind. Stets fühlen wir uns aufgehoben und willkommen, immer wurde uns weitergeholfen. Etwas vom Schönsten, was man in der Welt finden kann. Und nun heisst es auf Wiedersehen Indonesien, auf Wiedersehen Asien. Wir kommen wieder, irgendwann, ganz bestimmt.