Die Begegnungen mit Menschen sind für uns ein wichtiger Bestandteil von unseren Reisen. In den vielen Ländern, die wir schon mit dem Velo bereist haben, haben die Menschen unterschiedlich auf uns reagiert. In Indonesien reagieren alle sehr enthusiastisch auf uns, es wird gerufen, gehupt, gelacht, laut dem Staunen Ausdruck verliehen, gewunken und natürlich auch fotografiert und gefilmt. In keinem anderen Land haben wir bisher diese Begeisterungsfähigkeit erlebt, die meist ansteckend, manchmal aber auch anstrengend sein kann. Je untouristischer die Insel oder Region, desto mehr Aufmerksamkeit erfahren wir. Sulawesi ist wenig touristisch, und dies auch nur beschränkt auf ganz wenige Orte. So haben wir seit über drei Wochen keine anderen Touristen mehr gesehen und dementsprechend gross ist die Aufmerksamkeit, die wir erwecken. Das Leben findet hier draussen statt, die Türen und Fenster der Häuser stehen meist offen, vor den Häusern sitzen Menschen zusammen oder es wird draussen gearbeitet. Bule! (Ausländer) oder Hello Mister! schallt der Ruf von Haus zu Haus und wird wie ein Signal weitergegeben, bis wir ein Dorf passiert haben und uns der Trans-Sulawesi «Highway» ins nächste Dorf führt. Auch unterwegs wird aus den Autofenstern oder vom Motorrad gewunken, unzählige Köpfe schauen uns beim Überholen an, lachende Gesichter, ein Extra-Huper oder ein Stopp, um uns um ein gemeinsames Foto zu bitten. Das machen wir meist nicht so gern, denn wenn es gut rollt, halten wir nur ungern an, zudem sind wir oft so verschwitzt, dass wir uns höchst unfotogen fühlen. Und halten wir für ein Foto an, stoppt sogleich auch das nächste Auto oder Motorrad und es folgt Foto um Foto um Foto um Foto. So winken wir im Vorbeifahren meist entschuldigend ab und rollen weiter.






Am meisten Aufmerksamkeit erhalten jedoch die Mädchen. Besonders die Frauen in Indonesien flippen regelmässig aus, wenn sie unsere Kinder sehen, zerren ihre eigenen Kinder herbei um ein Foto zu machen oder fassen Amira und Sarina in die Haare oder ins Gesicht. Für uns ist es manchmal schwierig darauf zu reagieren, da es nicht unsere Kultur ist, fremde Kinder einfach so anzufassen, hier aber völlig normal ist. So versuchen wir auch den Mädchen zu erklären, dass es verschiedene Ansichten gibt, was als «Normal» gilt. Dennoch sind wir aufmerksam, wenn es ihnen genug wird, versuchen dies dann den Frauen zu erklären, winken ab oder gehen weiter. Amira und Sarina sind aber mittlerweile ganz gut darin, ihre Grenzen aufzuzeigen und sagen No/Tidak oder satu foto (ein Foto). Sie nehmen auch wahr, wo es viele Ibus (Frauen) hat und wissen genau, dass es dort anstrengend werden könnte für sie. Interessanterweise sind die Männer hier viel entspannter im Umgang mit unseren Kindern und möchten eher ein Foto mit Miguel machen, als eines von und mit den Kindern.


Wir sind erstaunt, aber auch sehr erfreut, wie gut Amira und Sarina das Reiseleben gefällt. Sie haben kaum Heimweh, sind auch nach Wochen immer noch motiviert am Velofahren, ziehen (meist) gerne weiter und gehen gelassener mit der Situation um, dass wir hier die Fremden sind. Auch Miguel und ich sind immer noch glücklich und zufrieden unterwegs. Fascht wie friener, geht mir manchmal durch den Kopf, bis mir die Endlichkeit dieser Reise bewusst wird oder die Kinder ihre Bedürfnisse anmelden. Konnten wir früher noch entspannt nach einem Velotag lesen oder Nichtstun, wird heute Uno gespielt oder mit den Kindern nach draussen gegangen, da sie sich noch bewegen möchten (irgendwie trampen sie auf ihren angehängten Velos schon nicht so viel wie wir!). Für Miguel und mich ist diese Reise und das Unterwegssein dennoch wie immer sehr mit Freiheit und Zufriedenheit verbunden. Die Freiheit, anzuhalten und zu bleiben wo man will und in den Tag zu leben. Die Zufriedenheit, in der Welt und der Fremde unterwegs zu sein, die Dinge einfach geschehen zu lassen, die Grenzen von «Normal» zu verschieben, zu entdecken, staunen und immer wieder erfüllende Begegnungen zu erleben.



In einem Dorf im Irgendwo-Nirgendwo finden wir überraschend ein Penginapan, eine einfache Unterkunft. Fensterlose Räume scheinen hier Standard zu sein, wohl auch wegen dem Klima, denn so bleiben die Räume kühler. Zum Sonnenuntergang fahren wir auf der Suche nach Abendessen ins Dorfzentrum. Wie immer ist um diese Zeit viel los, Essensstände werden aufgebaut, die Menschen fahren zur Moschee, kaufen ein oder sind sonst wie unterwegs. In einem einfachen Warung essen wir Nudelsuppen. In dieser Situation spricht uns oft jemand an, der etwas Englisch kann und fragt uns aus. Danach warten alle, die in diesem Moment rundherum sind, auf die Übersetzung ins Indonesische und erfahren so, wer wir sind und woher/wohin wir gehen. Ah’s und Oh’s folgen und natürlich weitere Fragen und Fotos. Auch in diesem Dorf ist es nicht anders, aber wir profitieren auch davon und können unsererseits Fragen stellen, für die unser Indonesisch nicht ausreichend gewesen wäre.
Als wir in der Dunkelheit zu unserer Unterkunft zurückkommen, wartet ein Motorrad vor der Einfahrt und Dean spricht uns an. Er betreibt das Café nebenan und hat uns heute gesehen. Er möchte uns auf einen Drink einladen, da wir seine ersten ausländischen Gäste seien. Wir sagen zu, obwohl es schon bald Schlafenszeit für die Mädchen ist. Er kann kaum fassen, dass wir seine Einladung annehmen und serviert uns seine besten Drinks: Es Teh und Es Teh Susu, zuckrigen Ice Tea mit oder ohne Kondensmilch, dazu – zur grossen Freude der Mädchen – Stroberi Es Krim. Er ist ganz betrübt, dass er uns kein Abendessen geben kann, da wir bereits gegessen haben, und lädt uns dafür am Folgetag zum Frühstück ein. Wir brauchen Energie zum Velofahren, meint er! Wir können nicht widersprechen. Als wir am nächsten Morgen auftauchen, bringt er uns freudestrahlend Hamburger und serviert uns dazu Ice Coffee mit viiiel Zucker! Was für ein Frühstück, denken wir, lassen uns aber nichts anmerken. Aber er dachte sich, wenn man in Indonesien Reis zum Frühstück isst (etwas, was es auch zum Mittag- und Abendessen gibt), dann werden wir im Westen sicherlich Hamburger zum Frühstück essen. Hm, nicht ganz. Dennoch beeindruckt uns seine Gastfreundlichkeit und die Freude, die wir ihm mit unserem Besuch machen. Mit den besten Wünschen für die Weiterreise und einem weiteren Coffee to go, den er uns in indonesischer Manier im Plastiksäckchen an den Lenker hängt, schickt er uns dann los in den Tag.

Can I camera Mister and me ? Wir stehen am Strassenrand und machen eine Trinkpause, als ein Motorrad bei uns anhält. Der nette Mann ist ganz aufgeregt und schaut Miguel bewundernd an, als er seine Bitte für ein Foto anbringt. Ein, zwei Selfies, Daumen hoch, und dankbar schüttelt er Miguel die Hand und meint I happy see here Mister and me, thank you. Nicht dass unser Indonesisch viel besser wäre, aber seine Bemühungen, sich auf Englisch mit uns zu verständigen, sind herzlich und wir sehen, dass er eine grosse Freude an der Begegnung mit uns hat. Wir verstehen nicht alles, was er sagt, aber die Gestik und das Lachen im Gesicht lassen uns erahnen, dass er sichtlich stolz ist und uns alles Gute für die Weiterfahrt wünscht. Hati-hati di jalan, Achtung auf der Strasse, meint er beim Abschied. Ein Satz, den uns fast alle Indonesier bei der Verabschiedung sagen.

Ein junger Mann hält bei einer nächsten Pause am Strassenrand bei uns an und fragt uns, wohin wir gehen. To Makassar? By bicycle?! Really? I don’t know what to say!!, meint er völlig perplex, und sagt einen Moment lang nichts. Makassar ist noch knapp 300km entfernt, eine Velodistanz, die für uns überschaubar ist, aber für ihn aber unmöglich scheint. Wir ahnen, was kommt, als er uns fragt, woher wir denn kommen mit den Velos. Nun haut es ihn fast um. From Manado? What? Since two months? Ist Makassar mit seinen 300km eigentlich nahe, wirkt Manado mit über 1’000km Entfernung im Vergleich schon sehr weit weg. Aber in seiner Wahrnehmung sieht die Distanz nochmals anders aus. Why are you doing this?, fragt er immer noch erstaunt. Eine gute Frage, hier müssen wir mit der Antwort etwas ausholen. What do your kids say about this? Denen gefällts, sagen wir. Meistens auf jeden Fall. Aber bis zum Ende des Gesprächs bleibt er fassungslos und kann kaum glauben, was er sieht und hört. Mich erinnerte er an eine Szene am Rhein in der ersten Woche unserer langen Veloreise, als uns eine Frau auf einer Parkbank fragte, wohin wir fahren und wir spontan mit «China» antworteten. Sie schaute uns an und ging wortlos und kopfschüttelnd davon und hinterliess uns mit dem Gefühl «dene spinnts». Nach dieser Begegnung antworteten wir meist mit «Istanbul» auf die Frage nach dem Wohin, bis es jemand doch noch genauer wissen wollte. Und nach wie vor denke ich, dass so vieles möglich ist, wenn man einfach einmal anfängt und probiert, Tag für Tag nimmt und irgendwann realisiert, dass man fast schon in Istanbul ist. Und dann irgendwann, viel viel später, in China einrollt. Oder von Nord- nach Südsulawesi gefahren ist, mit 30kg Kindervelo+Kind als Extragepäck.

Einen Tag nach dieser Begegnung kommt mir aber Why are we doing this? wieder in den Sinn: Ja, wieso genau? Es ist ein harter Tag, wir haben zum ersten Mal Gegenwind. Und zwar starken Gegenwind. Er bläst uns regelmässig ins Gräbli am Strassenrand (Mama, fahr graaad! ruft Amira von hinten), wir kommen kaum vorwärts und es ist auch kein Dorf in Sicht. Wir durchqueren eine weite, etwas öde Ebene. Ja, wieso genau? An diesen Tagen ist der Freudefaktor nicht sehr hoch. Ich bewundere die Mädchen, die weniger schimpfen als ich, ausser wenn ich wegen einem Windstoss wieder von der Strasse abkomme und Amira sich beklagt. Aber auch diese Tage haben irgendwann ein Ende, und wir finden sogar noch eine Unterkunft. Am Folgetag hat es weniger Wind, dafür Strassen, die uns an die Holperpisten in Turkmenistan erinnern. Wir kommen vor lauter Schlaglöchern kaum vorwärts, dafür ist es schön verkehrsarm. Wenn dann plötzlich wieder die Hauptstrasse mit gutem Belag auftaucht und es wieder schön rollt, merken wir erst, wie viel Energie uns das Geholper mit den schweren Velos gekostet hat.





In Watampone finden wir ein Hotel mit Pool und die Mädchen geniessen das Baden, wir die Ruhetage. Ein paar Erledigungen gibt es jedoch meist zu tun, wenn wir in grösseren Städten sind. So mache ich mich auf die Suche nach Hustensaft für Sarina und Sonnencrème. Alleine unterwegs werde auch ich fast immer euphorisch mit Hello Mister! begrüsst, die Grussformel schlechthin für alle Bule, egal ob Mann oder Frau. Die Suche braucht einmal mehr viel Zeit, erst im 4. Laden finde ich Hustensaft und Sonnencrème nochmals einige Läden später. Wie viele Stunden haben wir auf unseren Reisen schon mit der Suche nach Linsenmittel, Sonnencrème oder Kaffee verbracht! Es müssen zahlreiche Stunden sein, doch diese Dinge zählen zu unserem Fix-Gepäck. Immerhin haben wir hier in Indonesien kein Problem mit dem Kaffee-Nachschub, vorbei sind die Zeiten, als wir in den Teeländern Iran und Zentralasien über 1kg Kaffee mitfuhren, da man nirgends mehr Kaffee kaufen konnte.





Im Hotel spricht uns Illy an und fragt uns höflich, ob er uns stören und ein paar Fragen stellen dürfte. Es nehme ihn so sehr Wunder, woher wir seien und was wir hier in Watampone, einem sehr untouristischen Ort, machen. Und sowieso, es seien so wenige Touristen unterwegs in Sulawesi seit der Pandemie, da möchte er unbedingt mehr von uns wissen. Wir kommen ins Gespräch und erfahren, dass er an der Universität in Makassar arbeitet. Die Themen gehen rasch etwas tiefer, da auch sein Englisch hervorragend ist, denn Illy machte seinen Master und PhD in Australien und somit ist die Verständigung sehr einfach. Es macht uns auch viel Freude, dass wieder einmal ein tieferes Gespräch möglich ist. Oft kommen wir mit unserem Indonesisch (und mit dem Englisch vom Gegenüber) nicht über die Basics heraus, was für beide Seiten schade ist. Dafür ist dann die Gestik und alles, was nicht in Worte gefasst werden kann, umso wichtiger. Aber mit Illy ein schönes Gespräch auf Englisch zu führen, war auch für uns bereichernd. Er verabschiedet sich mit der Einladung, ihn zu kontaktieren, wenn wir in Makassar sind, um ein Wiedersehen zu vereinbaren. Das werden wir natürlich gerne tun. Makassar wird der Endpunkt unserer Sulawesi-Reise sein. Davor planen wir noch einen Schlenker ganz in den Süden, nach Bira. Land’s end, dort wo es auf dem Landweg nicht mehr weitergeht, sondern die Richtung gewechselt werden muss. Mit dem Velo diese Punkte zu erreichen finde ich immer sehr speziell. Die Südspitze von Indien zu erreichen, um dann auf der anderen Seite nordwärts zu drehen. Von Thailand bis ans Ende der malaiischen Halbinsel zu fahren, bis in Singapur nur noch Meer vor uns liegt. Und nun ganz bis ans Ende dieses «Zipfels» von Sulawesi zu fahren. Wir freuen uns auf die letzten Wochen, auch wenn leider das Ende der Reise langsam näherkommt. Aber vielleicht macht dieses Bewusstsein auch die Dankbarkeit aus, hier zu sein und dies alles erleben zu dürfen. Tag für Tag.
Liebe Nora, lieber Miguel
Das war ja wieder eine herzzerreißende Reise mit euch 4ren per Velo durch Sulawesi. Am Ende des Berichtes, saßen wir Beide mit feuchten Augen gerührt nebeneinander und haben uns wortlos umarmt.
Wir sind uns ja wirklich fast total in unseren Ansichten sowas von ähnlich, es ist kaum zu glauben; ….” fast ” habe ich nur geschrieben, weil es ja eigentlich nicht sein kann. Für uns, waren auf Reisen auch immer die Begegnungen die entscheidenden Erlebnisse und fürs ganze Leben das Lehrreichste; die Würze in der Suppe.
Das Foto wo die Mädels in der Hocke “sitzen”, ist besonders bemerkenswert, wie zwei welterfahrene Globetrotterinnen,! ! !
Auch diese Reise wird Amira und Sarine für`s Leben formen, mit großer Begeisterung werden sie sich an der Vielfalt der Kulturen auf unserer schönen Erde erfreuen. Wir umarmen euch alle 4, genießt eure Zeit…… ganz herzlich eure Gisela und Achim
Liebe WeltenbummlerInnen
Nun sind wir zurück von Rom und ich kann mir endlich in Ruhe eure beiden neuesten Berichte inezieh! Ein Genuss, die wunderschönen Fotos und eure Erlebnisse. Immer wenn ich hier auf einer sogenannten unbefestigten Strasse velofahre, denke ich an euch seit eurer ersten Veloreise, wie ihr da stundenweise über solche “Strassen” gerollt seid. Aber die Bilder nun vom Sulawesi Highway oder den Turkmenistan Roads, haben mich schon beeindruckt und ich bewundere euch, wie ihr das schafft….
Ich wünsche euch weiterhin viele so beeindruckende Sonnenuntergänge und schöne Begegnungen. Gisela hat recht, diese Reise wird für eure Mädels in guter eindrücklicher Erinnerung bleiben und ich denke, ihr habt sie wirklich bereits mit dem Reisevirus voll infiziert…
Habt es noch weiter gut zusammen und geniesst jeden Tag, auf hoffentlich angenehmeren Strassen. Gebt euch Sorg und Bhüet euch Gott
Herzliche Grüsse und en grossi Umarmig aus der Heimat, wo langsam der Frühling kommt
Franziska
Herrlich!!! Danke für dä wunderbari Bricht!
Fantastisch, einfach nur fantastisch und wunderbar, mir bleibt die Spuke weg…. Grossartiger Bericht, Bilder, von denen ich die Augen kaum abwenden kann, sie wieder und wieder auf und ab scrolle: das herrliche grosse Bild mit der kleinen und der grossen Amira, die andächtigen Mädels samt Nora in der Moschee, die Holperstrassen, und alle die vielfaltigen Begegnungen. Sagt mal, hat es überhaupt auch mal geregnet? Vielleicht “nur” kurze Tropenschauer? Denn solche Regengüsse würden auf den Holperstrassen eine Fangopackung, zumindest auf den Beinen, gut ersetzen. HI-Hi-HI! Gerne möchte ich mir mal den Km-Zähler auf euren Rädern begutachten….. aber dafür muss ich warten bis ihr wieder da seid. Ich staune und staune, wie viele Km ihr geradelt und weiter radelt…. Rundum viermal grosse Umarmung! Maria