In Khorog entscheiden wir uns, durch das Wakhan Tal weiterzufahren. Noch einige Tage dem Panj-Fluss folgen, afghanische Dörfer entdecken und einen Blick auf die hohen Gipfel des Hindu Kush werfen. Die Ruhetage in Khorog haben uns gut getan und voller Energie radeln wir weiter. Der Verkehr hat nochmals deutlich abgenommen, nur noch wenige Jeeps fahren in dieses Tal. Wir geniessen die Ruhe, die vielen kleinen Dörfer, die Ausblicke nach Afghanistan, die grünen Felder und die braunen Berge mit ihren schneebedeckten Gipfel. Als der Fluss breiter wird und wir plötzlich die nun wirklich hohen Berge des Hindu Kush sehen, sind wir beeindruckt. Die Gipfel sind über 7’000m hoch, das sieht nochmals imposanter aus!

Bereits kurz vor dem Wakhan Tal erscheinen in der Distanz die ersten richtig hohen Berge des Hindu Kush

Bei Ishkashim gibt es einen Grenübergang nach Afghanistan – der internationale Markt im Niemandsland fand leider aus unbekannten Gründen nicht statt
Im Wakhan Tal erscheinen uns die Dörfer noch ärmlicher als auf der Strecke vor Khorog. 70% der tadjikischen Bevölkerung lebt von weniger als 2 USD pro Tag. Dies scheint aber der Gastfreundschaft der Menschen nicht geschadet zu haben. Noch mehr Einladungen zu Tee erhalten wir, noch freundlicher wird uns zugewinkt und um einen Schlafplatz zu finden haben wir keine Mühe: Stets dürfen wir auf dem Grundstück von einer Familie zelten und bauen zur Freude aller Kinder im Dorf unser Zelt auf. Eine Begegnung hat uns aber sehr mitgenommen: In einem kleinen Ort fragen wir eine Familie, ob wir vor ihrem Grundstück campieren dürfen. Wir sollen doch ins Haus kommen, meint der Hausherr. Wir lehnen jedoch ab, denn schon nur ihr Haus sieht sehr arm aus und dass wir als Gäste dann mit Essen bewirtet werden, obwohl diese Familie wahrscheinlich nicht viel hat, wird wohl der Fall sein. Als Campinggäste vor ihrem Haus können wir hingegen unser eigenes Essen machen. Die Familie akzeptiert widerstrebend, nicht ohne ihre Einladung noch einige Male wiederholt zu haben. Wir staunen aber nicht schlecht, als wir am kochen unseres Essens sind und plötzlich der Hausherr vor uns steht und uns einen Teller Plov überreicht, dazu eine Kanne Grüntee! Wir versuchen abzulehnen, aber haben nicht die geringste Chance. Manchmal macht uns diese Gastfreundschaft etwas Mühe, sind wir doch so viel reicher als sie, und doch geben uns die Menschen was sie können. Es ist nicht immer einfach, dies zu akzeptieren, besonders wenn wir überlegen, wie diese Menschen bei uns empfangen würden.
Am nächsten Morgen bin ich froh, am Abend nicht noch nach dem Klohäuschen gefragt zu haben, denn mit etwas zentralasiatischer Erfahrung zeigt sich, dass der Gang in die Büsche oft die bessere Wahl ist als die üblen Bretterverschläge mit dem Loch im Boden. Als wir in der Sonne unseren Kaffee und Griessbrei geniessen, kommt der kleine Junge der Familie heraus, hockt sich vor die Hofmauer und macht sein kleines grosses Geschäft. Und zieht danach einfach seine Hose wieder hoch. Scheinbar hat die Familie nicht nur kein Klopapier (oder Zeitungspapier, wie auch schon gesehen), sondern auch kein Klohäuschen. Manchmal ist die Diskrepanz zwischen den Welten, die wir sehen und der Gedanke an die Heimat fast nicht auszuhalten.

Etwas nachdenklich machte uns die Gastfreundschaft der Wakhan-Bewohner. Haben nichts und geben alles!

Das Wakhan ist viel breiter als die meisten bisher durchfahrenen Täler und stellenweise enorm fruchtbar

Allerdings werden die Felder mit einfachsten Mitteln bestellt – so wie hier mit einem Handpflug und zwei Kuhstärken
In Langar, ganz am Ende des Wakhan Tals, heisst es nach rund 700km Abschied nehmen von Afghanistan. Wunderschön war die Fahrt dem Panj-Fluss entlang, eine unserer Lieblingsstrecken, doch jetzt freuen wir uns auf das Pamir Plateau. Hoch hinaus geht die Fahrt und die Luft wird dünner und dünner. Auf 3’900m wird jede Steigung zur Anstrengung, besonders ich habe Mühe mit der Höhe. Schnufe, schnufe, ich ghör dich nur khüche! ruft Miguel mir zu, doch das ist einfacher gesagt als getan. Kopfweh, Kurzatmigkeit, Schlaflosigkeit und Appetitmangel begleiten mich noch tagelang, an mir ist definitiv kein Yak vorbei gegangen. Überraschend kommt das nicht, schon auf dem Altiplano in Bolivien oder auf dem Wildstrubel hatte ich Mühe mit der Höhe. Schlichtweg atemberaubend ist aber nicht nur die Höhe, sondern auch das Plateau: Berge, die tausend Brauntöne zu haben scheinen. Wolken, die fast schon die Erde berühren. Diese Weite, diese Stille, diese Einsamkeit. Wir sehen mehr Murmeltiere als Menschen. Auch der Verkehr ist endlich so, wie Miguel es sich vorgestellt hat: Pro Stunde vielleicht 1-2 Autos. Nur wir zwei in dieser unwirtlichen Weite, flankiert von Bergen, über uns der stahlblaue Himmel. Wir ergänzen uns ideal: Miguels Fotostopps sind meine Schnaufstopps. Erst im Pamir habe ich die Bedeutung des Wortes atemberaubend verstanden.

Wieder geht es hoch hinauf – diesmal auf über 4200m – ein letzter Blick zurück nach Afghanistan, auf von Menschen unberührte Landschaften

Kurze Reparatur – das Material hat auf den schlechten Strassen ziemlich gelitten. Hier hat sich lediglich ein Stift an Noras Kette gelöst, kurz davor war mir ein Kettenglied gerissen

Der Belag fühlt sich an wie im siebten Himmel – und auch landschaftlich finden wir den ersten Abschnitt beeindruckend. Um 3900m sind wir nun und schnaufen bei jeder Steigung etwas mehr als gewöhnlich.

Verkehr hat es nur noch wenig und wir geniessen dieses Freiheitsgefühl alleine auf der Strasse zu sein

Vorher legen wir jedoch noch eine Zeltnacht ein und sind beeindruckt von der absoluten Stille und dem Fehlen von jeglichem Licht in weitem Umkreis

Kein Licht weit und breit beschert uns natürlich auch die unglaublichsten Sternenhimmel inkl. der Milchstrasse
Wir finden schönste Zeltplätze und staunen bei Dunkelheit über den klaren Sternenhimmel. Totenstill ist es in der Nacht, kein Laut ist zu hören. Es ist ein komisches Gefühl, so weit weg von allem Leben zu sein, im kleinen Zelt in der Weite des Pamir Plateaus zu liegen.
In Murghab, dem Hauptort auf dem Pamir Plateau, planen wir einen Ruhetag ein. Es kommt jedoch anders, denn die Seuche schlägt ein weiteres Mal zu: Während Miguel zu viel Zeit auf dem Porzellanthron verbringt, vegetiere ich im Zimmer neben dem Plastikeimer dahin. Nach einem Tag ist alles draussen, was raus muss. Aber auch die Energie ist dahin, und so bleiben wir einen weiteren Tag und erkunden den Bazaar, der aus alten Containern besteht und das übliche Angebot beinhaltet: Biscuits und Teigwaren in offenen Säcken, abgelaufene Snickers, Kartoffeln, Zwiebeln und Rüebli, die schon bessere Zeiten gesehen haben. Wenn wir in Homestays übernachten, ist das Abendessen oft inklusive, und auch dieses reflektiert das eingeschränkte Angebot an Esswaren: Einen Teller gescheibelte Kartoffeln. Einen Teller Buchweizen mit zwei Rüeblistückli darin. Eine Suppe mit einer Kartoffel, einem halben Rüebli und etwas Kohl. Der Pamir ist ein kulinarischer Tiefflieger und je eingeschränkter das Angebot, desto mehr überschlagen sich unsere Phantasien: Miguel träumt von Nussgipfel, Lasagne und Tiramisu, ich von Apfelwähe, Mami’s Brombeerikueche, Thai-Curry, frischen Früchten und seit Wochen geht mir der Gedanke an eine Flasche Rivella einfach nicht mehr aus dem Kopf. Die Menschen hier ernähren sich eigentlich nur von Kohlenhydraten (Brot, Buchweizen, Kartoffeln, Pasta) und Fleisch.

Der Markt besteht aus ausgedienten Containern – erstmals sind auch kirgisische Bewohner in der Überzahl. Die weissen Hüte sind ein typisches Merkmal.

Wenn wir nicht selber kochen, ist das Nahrungsangebot sehr einseitig – unsere Essensfantasien überschlagen sich: Hier der Schokoladenberg mit Caramelsträhnen und einem tupfer Schlagsahne.. hmmmh
Vor den Häusern, die ohne fliessend Wasser und meist auch ohne Strom sind, stapeln sich die Dung-Haufen, mit denen das Feuer für die Kochstelle und (im Winter) die Öfen beheizt werden. Bäume wachsen hier keine mehr, daher gibt es auch kein Holz. Das Leben der Menschen auf dieser Höhe ist sehr hart, auch jetzt im Sommer wird es nachts empfindlich kalt. Das Wasser wird in grossen Eimern aus dem Dorfbrunnen geholt. Gekocht wird auf dem Feuer. Elektrizität kommt vom Generator oder von der Solarzelle auf dem Dach, dies ist aber die Luxusvariante. In den Homestays wo wir nächtigen wird uns manchmal ein Eimer Wasser gewärmt, um zu duschen. Aber nur manchmal.
Nach Murghab umgeben uns wieder die Einsamkeit, die Stille und die Berge. Verkehr hat es praktisch keinen mehr, denn die LKWs fahren alle von Murghab aus über den Qolma-Pass nach China. Mir wird es langsam zu still, zu einsam, ich merke, wie ich das Leben vermisse: Menschen, Tiere, Geräusche, Dörfer. Und doch hat diese Abgeschiedenheit etwas faszinierendes an sich.
Immer wieder treffen wir aber auf andere Reisende. Velofahrer, die uns entgegenkommen, Überlandreisende mit ihrem Jeep. An einem Morgen haben wir kurz hintereinander zwei Begegnungen: Ein nettes Velopaar aus Frankfurt, dass sich von Murghab mit dem Jeep nach Kirgistan bringen lässt und uns nicht nur mit einem Pack Studentenfutter, sondern auch mit zwei Bananen beschenkt! Etwas, dass wir seit 700km nicht mehr gegessen haben! Kurz danach stoppt uns ein weiterer Jeep mit einem Paar aus Kroatien. Wir sind jedoch völlig perplex, dass das Rentnerpaar in 22 Tagen (!) von Kroatien hierher gefahren ist. Wir fühlen uns so weit weg wie noch nie, und doch wirkt die Heimat plötzlich wieder nahe wenn jemand dieselbe Strecke in so kurzer Zeit abgespult hat.
Der Pamir ist bekannt für seine starken Winde, die plötzlich auftreten, und auch wir werden nicht verschont. Eiskalt bläst uns der Wind entgegen, macht ein Vorwärtskommen nur noch im Schritttempo möglich. Ist es in der Sonne ohne Wind überraschend warm für diese Höhe, sind die Nächte eiskalt. Wir campieren auf 4’100m und nehmen uns den höchsten Pass für den nächsten Tag vor. Ich bin etwas nervös, denn auch nach mehreren Tagen auf mindestens 3’600m schnaufe ich immer noch wie eine alte Dampfmaschine und fühle mich untrainiert, obwohl wir noch nie so trainiert waren wie im Moment.
Bing, bing macht Miguels Veloglocke und signalisiert mir, dass wir wieder 100 Höhenmeter geschafft haben. Unser Passritual kommt auch am Ak-Baital Pass zum Einsatz, dem höchsten Pass auf unserer Reise: Unglaubliche 4’655 Meter hoch. Nach dem 4’400m-Bing ist aber fertig mit radeln und wir müssen die Velos schieben: Zu steil ist die Strasse, zu dünn die Höhenluft. Auf 50m schieben kommen 30 Sekunden Pause machen und atmen, die Ratio verschiebt sich auf 40m:1min, dann auf 20m:1,5min. Es ist ein Krampf, nicht nur die Lunge sehnt sich nach Sauerstoff, auch die Muskeln fühlen sich ganz komisch an. Ich bin unendlich erleichtert und sehr erschöpft, als wir endlich oben sind. Auch Miguel ist etwas kaputt, lief er doch mehrmals hin und her um mir beim Schieben zu helfen. Und doch, dieses Gefühl, aus eigener Kraft in diese unglaubliche Höhe gekommen zu sein, ist überwältigend.

Vorher Campieren wir noch einmal – auf ca. 4100m und versuchen dem Wind möglichst aus dem Weg zu gehen

Am Morgen ist es noch meist windstill, aber bereits vor dem Mittag geht es wieder los und hält bis spät in den Abend

Alsbald wird es aber richtig steil, die Luft dünner und die Strasse unbefestigt – keine Idealbedingungen mit dem Fahrrad

So erreichen auch wir schliesslich die Passhöhe auf 4’655m – erschöpft aber glücklich. Über 3h haben wir gebraucht.

Blick auf die andere Seite – rechtzeitig zum Wetterumbruch kamen wir oben an. Mit den ersten Schneeflocken machten wir uns an die Abfahrt
Alles an mir sehnt sich nach Sauerstoff und so holpern wir rasch auf der anderen Seite wieder herunter. Der Wind hat nicht nachgelassen und bläst uns eiskalt mit voller Wucht ins Gesicht. Nach zwei Monaten Zentralasien sind wir uns Gegenwind ja langsam gewohnt, aber den Pamir Wind haben wir unterschätzt. Miguel schimpft über die schlechte Strasse und den Wind, ich fluche über die Kälte, denn inzwischen ist der Himmel bedeckt und an unseren Jacken prallen einige Schneeflocken ab. Endlich wird die Strasse etwas besser, doch der Wind immer stärker. Nirgends ist ein Haus zu sehen, eine Yurte, eine Mauer, wo wir um Unterschlupf fragen oder unser Zelt einigermassen windgeschützt aufstellen könnten. Gar nichts gibt es, nur Weite und dieser eiskalte, bissige Wind. Uns graut davor, hier das Zelt aufstellen zu müssen. Nach zwei Tagen und einer Nacht im Wind sehnen wir uns nach einem windstillen, warmen Ort. So beschliessen wir, ins 35km entfernte Karaköl weiterzuradeln, wo es Homestays gibt. Mit 9km/h schleichen wir vorwärts, beide der Erschöpfung nahe, und wechseln uns im Minutentakt mit Windschattenfahren ab. Kurz vor dem Eindunkeln um 20 Uhr erreichen wir das Homestay in Karakol, endlich, nach 8 Stunden und 8 Minuten im Sattel. Wir realisieren erst dann, dass wir seit dem Erreichen der Passhöhe nochmals fünf Stunden geradelt sind. Und den ganzen Tag nur von einer Packung Studentenfutter, zwei Bananen, zwei Snickers, Brot und der letzten Tafel Schweizer Schokolade gelebt haben. So fallen wir hungrig über den Teller gummige Pasta mit Kartoffeln her, der uns nach der Ankunft serviert wird, und der heisse Grüntee wärmt unsere kalten Hände.

Die Strasse verhindert jedoch eine rasche Abfahrt – wir benötigen weitere 5h um zum Karaköl See zu gelangen. Heftigster Gegenwind bremst uns zusätzlich.
Am nächsten Tag sind wir müde, wollen aber trotzdem weiterfahren. Ich sehne mich nach tieferen Höhenlagen und wärmeren Temperaturen, Miguel nach Windstille. So fahren wir dem unglaublich blauen Karakol-See entlang und langsam den nächsten 4’000er Pass hoch. Nach dem Mittag bläst uns der Wind schon wieder ins Gesicht, noch stärker als am Vortag. Es ist zum verzweifeln, mit einer Nudelsuppe stärken wir uns erst einmal und versuchen uns auch nicht zu nerven, als der Wind ständig Sand herumwirbelt und das Essen zwischen unseren Zähnen knirscht. Wir kämpfen uns noch etwas weiter, müssen aber bald einsehen, dass wir so nicht weit kommen. Wir sind müde, kaputt vom Vortag, entnervt vom Wind, ausgekühlt von den tiefen Temperaturen. Pamirmüde nennt Miguel das. Als wir eine Unterführung sehen, gehen wir von der Strasse und hoffen, dass wir dort bleiben und am nächsten Morgen weiterfahren können. Die Unterführung ist in dieser Jahreszeit trocken, jedoch wirkt sie wie ein Windkanal und ist alles andere als einigermassen gemütlich. Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder in dieser Unterführung bleiben, immerhin gibt es dort noch ein bisschen weniger Wind, und morgen weiterfahren. Oder die Velos die unbefestigte, schlechte Strasse noch ca. 10km gegen den Wind den Berg hochschieben bis zum tadjikischen Grenzposten, wo wir vielleicht irgendwo drinnen schlafen oder unser Zelt im Windschatten aufstellen können. Ja, das sind so diese Momente, wo man einfach genug hat. Genug von den Strapazen, genug vom Wind, genug von der Kälte, genug von allem. Nach 45min Pause gehen wir zurück auf die Strasse und stellen uns wieder dem Gegenwind, um zum tadjikischen Grenzposten zu gelangen. Es geschieht jedoch ein Wunder: Nachdem uns die letzten drei Tage insgesamt vielleicht 10 Autos überholt hatten, davon alles 4WDs, holpert nun ein kleiner Pickup-Laster an und seine Ladefläche ist leer! Fröhlich winkt der Beifahrer, sie halten an und laden unsere Velos auf die Ladefläche. Klar dürfen wir mitfahren! Mir kommen die Tränen vor Erleichterung, endlich aus dem Wind, der Kälte. Sogar der kleine Laster hat seine Mühe mit der Steigung zum tadjikischen Grenzposten und wir können kaum glauben, wie uns geschieht. Praktisch kein Verkehr seit Murghab, Laster mit Ladefläche haben wir seit hunderten von Kilometern keine mehr gesehen, und genau in der grössten Hoffnungslosigkeit rumpelt einer an und ist erst noch leer, denn auch dies ist eine Seltenheit im Pamir. Normalerweise ist jedes Gefährt voll- und überbepackt. Die beiden netten Kirgisen nehmen uns 50km mit über die Grenze bis nach Sary-Tash.
Später erfahren wir, dass dieses Tal vom Pamir auch Death Valley genannt wird, wegen den überaus starken Winden und der ungeschützten Lage. Genau in diesem Tal hatten andere Radler ihr Zelt verloren, nachdem es der Wind weggewindet hatte. Trotz mehreren Stunden Suche fanden sie es nicht mehr.
Die Landesgrenze nach Kirgistan ist gleichzeitig auch eine Vegetationsgrenze, denn wir staunen, wie grün die Täler und Hügel in Kirgistan sind. Überall sehen wir Yurten, Pferde, Yaks, Kühe. Ich hätte nicht gedacht, dass wir die erste kirgisische Yurte bereits nach wenigen Kilometern sehen. Nach Sary-Tash ist der Asphalt perfekt, wir können es kaum glauben, und motiviert nehmen wir die Steigung auf den letzten kleineren Pass auf uns. Auf 3’600m weichen wir Yaks und Pferden aus, die am Strassenrand stehen und dann kommt die langersehnte Abfahrt: 2’000 Höhenmeter geht es runter, auf der guten Strasse hören wir die Räder wieder einmal surren und endlich, endlich wird es wärmer! Wir folgen während zwei Tagen dem Fluss durch ein wunderschönes Tal, bevor wir nochmals am Fusse eines Passes stehen: Nochmals steile 1’000 Höhenmeter hoch auf den letzten Pass vor Osh. Auf der Passhöhe sieht es aus wie ein Holiday Park, überall Yurten und Pferdeherden. Wir stossen unsere Velos auf eine kleine Anhöhe und beobachten das Leben der Nomaden. Die Kinder haben grosses Interesse an uns, singen uns Lieder vor und inspizieren unser Zelt. Die angebotene Kymys, vergorene Stutenmilch, lehnen wir aber dankend ab.

Sary Tash, Kirgistan – der Blick auf die erste imposante Gebirgskette des Pamir. An dieser liegt auch der 7’134m hohe Pik Lenin

Blick auf die vor uns liegende Abfahrt – auf super Belag können wir mal endlich wieder die Räder surren lassen, von 3’600m bis auf 1’500m runter – super!

Kirgistan ist vor allem im Vergleich zum (zumindest im letzten Teil) eher steinigen Pamir Gebirge enorm farbig und grün! (Keine Sättigung am Bild vorgenommen!)

Tatsächlich wird es bald so warm dass wir die schon seit Tagen überfällige Haarwäsche in einem Gebirgsbach vornehmen können. 😉

.. und die letzte Zeltnacht verbringen wir in Gesellschaft von dutzenden Jurten und hunderten von Pferden, Kühen, Ziegen, Hühner und Truthähnen auf dem Chyrchyk Pass
Die letzte Abfahrt ist dann wirklich eine Abfahrt, es wird heiss und heisser, die Hügel wechseln von saftigem Grün zu verdorrtem Braun. Vor Osh sehen wir Sonnenblumen- und Maisfelder, wir sind am Rande des Ferganatals, der fruchtbaren, weiten Ebene Zentralasiens.
In Osh geniessen wir die erste warme Dusche seit zwei Wochen. Es ist gleichzeitig auch die erste Dusche seit einer Woche. Wir sind erfüllt, glücklich, stolz, aber müde und erschöpft. 1’500km sind wir im letzten Monat gefahren, dazu unzählige Höhenmeter, Zeltnächte, einseitiges Essen, kalte Temperaturen und orkanartige Winde. Und doch, landschaftlich gesehen war es die spannendste Strecke bisher, besonders die 700km dem Panj-Fluss entlang haben uns gefallen. Das Pamir Plateau ist von den Farben her wunderschön, eine andere Welt. Dennoch diskutieren wir darüber, ob sich der Pamir mit dem Velo lohnt. Es ist eine Strapaze: Die Höhenlage, der Wind, die Temperaturen, die Strassen, das einseitige Essen. Wenn aber die Bedingungen gut sind, ist es jede Entbehrung und jede Strapaze wert, denn die Landschaft ist wunderschön. Mit schlechten Bedingungen, ja, dann ist es eine ziemlich harte Strecke. Wir sind froh, es geschafft zu haben. Viele Bilder mehr in unseren Köpfen, die Erfahrung der Abgeschiedenheit und Einsamkeit hat uns bereichert, die Landschaft für alles entschädigt. Wir mochten die Menschen in Tadjikistan sehr. Mit etwas Abstand, wenn die Radler-Amnesie eintritt und wir die Strapazen etwas vergessen, wird Tadjikistan und der Pamir sicher ein Highlight unserer gesamten Reise sein. Bis dahin geniessen wir gutes Essen, den Luxus eines eigenen Badezimmers und einer Matratze (keine Matte am Boden), Hitze (40°C in Osh), Internet, Nichtstun und Planen, was wir in Kirgistan noch unter die Räder nehmen wollen.