Dober Den!
„This is not Europe!“ sagte der serbische Zöllner halb ironisch, als wir drauf und dran waren an den geschlossenen Schranken vorbeizufahren, da sich offensichtlich niemand für uns zu interessieren schien, und verlangte doch noch unsere Pässe. Er wies damit auf die Tatsache hin, dass Bulgarien Mitglied der EU ist und somit freien Personenverkehr erlaubt, Serbien aber nicht.
EU? Unser erster Eindruck von Bulgarien bestand darin, einen grossen leeren Platz zu überqueren und dabei nicht von den riesigen Schlaglöchern verschluckt zu werden. Die Strassenzustände waren also schon mal vielversprechend. Auch der erste Bulgare, dem wir begegneten, überwarf sich nicht gerade vor Freude, als er uns sah. Statt dessen schenkte er uns einen grimmigen Blick, den auch unser fleissig gelerntes Sätzchen „Dober Den!“ (Guten Tag) nicht aufhellen konnte. Na, das kann ja heiter werden!
Über die schnurgeraden, aber erstaunlich verkehrsarmen Strassen (sogar doch noch mit akzeptablem Belag) fuhren wir noch am ersten Tag direkt bis Vidin, einer etwas grösseren Stadt im Norden Bulgariens. Bisher wurden wir übrigens seit Beginn der Reise bei jedem Grenzübergang von Regen begrüsst, und bei diesem sollte es nicht anders sein. Nach einigen Kilometern erreichte uns eine der Gewitterfronten, die wir schon seit einiger Zeit mit Besorgnis verfolgten. Das meist flache Ackerland bot einen guten Überblick in die Umgebung. Der langsam einsetzende Regen verkürzte unsere Mittagspause am Strassenrand und liess uns mit zunehmender Intensität dann hastig in die Scheune eines Bauernhofes flüchten, wo sich bereits die beiden Bauern und die Frau des Hauses (Hui, mit Haaren auf den Zähnen) eingefunden hatten und warteten bis der Regen aufhörte. Zum Glück liessen sie uns gewähren und interessierten sich danach nicht mehr gross für uns – mit einem „Blagodarja!“ radelten wir weiter in Richtung Vidin.
Bald stellten wir fest, dass Bulgarien wohl das Land mit den meisten Hügeln weltweit sein muss – der Strassenverlauf glich häufig einer Achterbahn. Und dies, obwohl auf der Landkarte nicht ein Hügel eingezeichnet war! Kaum hatten wir eine der kilometerlangen, schnurgeraden Strassen mit stetiger Steigung erklommen, kam hinter der Kuppe eine kurze Gerade/leichtes Gefälle und dahinter die nächste Steigung. Immerhin empfanden wir den bulgarischen Verkehr als sehr angenehm – meist warteten sie hinter uns, bis sich eine Gelegenheit zum Überholen ergab und taten dies dann auch sehr grosszügig, fast schon ehrfürchtig und im Schneckentempo. Und selbstverständlich mit einer eingehenden Betrachtung von uns Exoten.
Wir nahmen einen Umweg und einige (na gut: viele) Höhenmeter in Kauf und besuchten die 200 Mio. Jahre alten Gesteinsformationen von Belogradtschik (Белоградчик), welche auch Überreste einer alten oströmischen Festung enthielten. Der Ausblick von ganz oben auf dem Felsen war eindrücklich: Rundherum eine enorme Weite und kaum menschlichen Einfluss in Form von Dörfern oder Gebäuden. Auch auf der weiteren Durchreise empfanden wir das Land beinahe schon als leer – endlose Weiten mit riesigen Wäldern oder gigantischen Ackerflächen im Flachland (und ebenso gigantischen Ackermaschinen), dazwischen ein paar verstreute menschenleere Dörfchen, manchmal nur eine Ansammlung von ein paar zusammenstehenden Häusern. Bulgarien hat etwa gleichviel Einwohner wie die Schweiz, aber verteilt auf 110’994 km².
Der Standard Bulgariens ist definitiv tiefer als noch derjenige Serbiens. Vielerorts sind die Strassen in schlechtem und teilweise katastrophalem Zustand. Unzählige Häuser haben kaputte Dächer und eingerissene Wände, durch die man durchblicken kann – aber nichts desto trotz immer noch bewohnt sind. Einige Häuser scheinen vor einiger Zeit verlassen worden zu sein und sind nun sich selbst überlassen, Bäume wachsen aus den eingestürzten Dächern. Andere wiederum scheinen während der ersten Bauphase wieder aufgegeben worden zu sein und werden langsam von der Natur zurückerobert. Die Kluft zwischen Stadt und Land ist gross – der ländlichen Bevölkerung fehlt es teilweise an jeglichen Mitteln (Pferde- oder Eselskarren sind gang und gäbe). Nähert man sich jedoch einer Stadt, fallen nebst den besseren Häusern z.B. sofort die immer teurer werdenden Autos auf (über die gängigen neuesten Modelle von Audi, BMW und Mercedes bis hin zum Ford Mustang GT). Als wir die Stadt Pleven auf der Umfahrungsstrasse passierten, konnten wir im vorbeifahren den blutjungen Strassenprostituierten zurückwinken, die im Minirock an der prallen Sonne standen und auf Kundschaft warteten.
Übrigens haben wir uns in Bulgarien bislang nie unwohl gefühlt. Es gab Tage, da wurden wir „nur“ bestaunt und es gab Tage, da winkte und hupte und rief es von allen Seiten, Daumen wurden hochgehalten und einer hielt nachdem er uns überholt hatte an und bot uns Süssigkeiten an (natürlich nur im Gegenzug dass wir ihm alles über uns erzählten). Einem anderen erklärten wir ohne Worte, nur mit Händen und Füssen, sowie der Hilfe unserer Karte erfolgreich, woher wir kamen und wohin wir noch wollten. Viele erschienen uns zwar im ersten Moment mürrisch, wurden aber freundlich, nachdem wir sie auf bulgarisch begrüsst hatten. Abgesehen von den endlosen Hügeln und dem ständigen Wetterwechsel (zwischen Gewitter und Sonnenschein vergehen jeweils keine 15 Min., mehrmals am Tag) gefällt es uns sehr gut in Bulgarien. Auch die kyrillischen Strassenschilder haben wir mittlerweile im Griff. Auch wenn wir nicht alles entziffern können, knobeln wir uns aus den uns bekannten Buchstaben den passenden Ort zusammen.
Momentan sind wir im hübschen Veliko Tarnovo angelangt, wo wir uns für drei Nächte erholen – fuhren wir doch in den letzten 12 Tagen täglich zwischen 60 und 120km (am 120km-Tag hatten wir Westwind ;)).
Nur noch ca. 200km trennen uns nun noch von der türkischen Grenze – wir freuen uns riesig auf die Türkei und hoffen auf endlich etwas wärmeres und stabileres Wetter. Wie wir gelesen haben sind auch bei euch die Temperaturen fürs Wochenende vielversprechend!
Vielen Dank auch wieder für eure zahlreichen Kommentare, wir freuen uns wirklich riesig über jeden einzelnen!
Und hier noch ein paar bulgarische Besonderheiten:
- Das Bier wird hier in der 2,5l Flasche verkauft, Preis: umgerechnet CHF 1.40
- Lebensmittel werden meist im Tante-Emma-Laden verkauft: Eine Verkaufsmutter steht hinter dem Tresen und wir zeigen auf alles, das wir kaufen wollen. Rasch haben wir gelernt, das Ablaufdatum zu prüfen, als ein Joghurt bereits seit einer Woche abgelaufen war.
- Und wenn wir schon beim Joghurt sind: Wird hier nur als Naturejoghurt im 400gr Becher verkauft, keine anderen Grössen sind erhältlich.
- Und wegen Lebensmittel-Kauf: Zurück in der EU, zurück bei Lidl, dm, Pennymarkt und Co. Dies gilt nur für die grösseren Städte, ansonsten gibt’s den Tante-Emma-Laden.
- Sehr verwirrend: Bulgaren nicken, wenn sie etwas verneinen, und schütteln den Kopf beim Bejahen. Oje! (grosse Herausforderung im Tante Emma Laden!)
- Käse: Bulgaren lieben ihren Krümelkäse! Auf fast allem ist er zu finden….Salate, Pommes Frites, Backwaren…ohne geht’s nicht (sehr zu Nora’s Leidwesen).
- Kilometerangaben: Sind sehr abenteuerlich, Schild 1: „Pennymarkt 1km“. Nach einem Kilometer ein weiteres Schild: „Pennymarkt 1km“. Oder an einer Kreuzung: Das kyrillische Schild gibt 40km an einen Ort an, das in lateinischen Buchstaben geschriebene Schild 50km zum selben Ort.
- Herrlich: Überall gibt es Quellen und Trinkwasser, auch das Hahnenwasser kann in allen Städten getrunken werden. Wir sind also seit Beginn unserer Reise mit Trinkwasser versorgt und mussten unseren Wasserfilter noch nie auspacken.
- Uäh: Wir könnten euch die Tierwelt Bulgariens anhand der toten Tiere am Strassenrand aufzählen, keiner sammelt die Kadaver ein. Von Vögeln, Igeln und Schlangen bis hin zu Hunden und Ziegen. Leider riecht es auch immer wieder dementsprechend nach Verwesung…grüslig!
- Lustig: Hierzulande fahren tatsächlich die alten westeuropäischen Autos umher. Teilweise noch mit den Länder-Klebern „CH“ und „A“ hintendrauf, einige sind sogar rechtsgesteuert! In einem Dorf haben wir einen Linienbus gesehen, der vorne und seitlich noch grosse „SCHULBUS“ Schriftzüge hatte.
- Auch uns hat es auf der Suche nach dunklem Körnli-Brot in den BILLA verschlagen und was entdeckten wir? In Bulgarien werden noch die nicht mehr aktuellen Oster- und Frühlingsesswaren verkauft (Schoggi, Marzipan etc.), die Verpackungen sind auf deutsch mit „Frohe Ostern“ angeschrieben!
- Auch wenn die sowjetische Architektur so ziemlich übel ist, finden wir doch etwas Gutes daran: In fast jedem Dorf gibt es einen Park mit Bänkli zum Rasten, auch wenn wir jeweils von Heldendenkmälern irgendwelcher Admiräle, ausgestellten Kanonen oder kompletten Kampfflugzeugen umgeben sind.
Kleiner Test mit Einbinden eines Videos: Fahrt durch bulgarisches Dorf, wackeliges Handyvideo: