Zuhause

Am Zoll in Chiasso. Da stehen wir nun, an der Grenze zu unserem Heimatland. Oft haben wir uns diesen Moment ausgemalt und doch braucht es eine Weile, bis die Erkenntnis mitsamt ihren Emotionen einsinkt: Wir sind wieder da. Die Minuten verstreichen und wir hängen beide unseren Gedanken nach, sind dankbar, nach drei Jahren unversehrt hier zu stehen und einen Pass zu besitzen, der uns die Einreise in dieses reiche Land ermöglicht.

Am Zoll in Chiasso - back in Switzerland!

Am Zoll in Chiasso – back in Switzerland!

Mit einem Kopfnicken begrüssen uns die Schweizer Zöllner und wir legen die ersten Meter in der Schweiz zurück. Rasch haben wir den perfekt ausgeschilderten Veloweg ausgemacht der uns in Richtung Norden bringt. Wir staunen über perfekte Strassen und Vorgärten, gepflegte Häuser, saubere Wegränder, über den hohen Organisationsgrad, die Effizienz, das Tempo. Nur wenige Menschen sind zu sehen, manche Dörfer und Strassenzüge scheinen wie ausgestorben da niemand zu sehen ist. Wo ist auch das Leben in der Schweiz? Es ist unglaublich ruhig, abgesehen von den Maschinen. Im Vergleich zu den letzten drei Jahren ist die Schweiz das ruhigste Land, das wir bereist haben. Wir denken zurück an Indien und müssen fast schon lachen als wir uns erinnern, dass wir damals der Intensität und dem Lärm nur im Hotelzimmer ausweichen konnten. Wie fühlen sich wohl indische Touristen, wenn sie in die ruhige (und im Vergleich zu Indien) menschenleere Schweiz kommen?!

Die Schweiz wirkt vielerorts sehr verlassen und so aufgeräumt wie in einem Bilderbuch.

Die Schweiz wirkt vielerorts sehr verlassen und so aufgeräumt wie in einem Bilderbuch.

Nach einem ersten Besuch in der Migros, deren Angebot uns etwas überfordert, schlafen wir auf einem perfekt organisierten Campingplatz am Lago di Lugano. Alle Gäste aus der Deutschschweiz warnen uns vor dem Wetter im Norden, kalt und regnerisch soll es sein. Darum seien viele für das Wochenende ins Tessin gekommen. Wir verspüren also keine Eile durch die Alpen zu kommen und verbringen noch mehrere Tage im Tessin, radeln vom Lago di Lugano an den Lago Maggiore, geniessen die Sonnentage, das Draussensein und das Campieren. In Bellinzona verladen wir unsere Velos in den Zug, denken beim Velobillet-Kauf an die Zeiten zurück, wo wir zuerst um den Ticketpreis für ein Velo feilschen mussten um es verladen zu dürfen. Topmodern kommt uns der Zug vor, leise beschleunigt er in Windeseile und wir schauen aus dem Fenster und kommen mit Wahrnehmen fast nicht nach, zu sehr sind wir an ein langsameres Tempo gewöhnt. In Luzern steigen wir in den Zug nach Bern um. Ganz ungewohnt ist es, alle Gespräche um uns herum verstehen zu können!

Unsere erste Migros! Nora kauft u.a. eine Flasche Rivella - von der hat sie schon auf dem Pamir Highway geträumt! Die immense Auswahl an Lebensmitteln (besonsders die Diversifikation im Joghurtbereich) überfordert uns jedoch etwas.

Unsere erste Migros! Nora kauft u.a. eine Flasche Rivella – von der hat sie schon auf dem Pamir Highway geträumt! Die immense Auswahl an Lebensmitteln (besonsders die Diversifikation im Joghurtbereich) überfordert uns jedoch etwas.

Am Lago di Lugano finden wir einen kleinen (menschenleeren) Lido und gönnen uns eine Pause. Wir haben noch nicht wirklich begriffen, dass wir zurück in der Schweiz sind.

Am Lago di Lugano finden wir einen kleinen (menschenleeren) Lido und gönnen uns eine Pause. Wir haben noch nicht wirklich begriffen, dass wir zurück in der Schweiz sind.

Zurück in der Schweiz

Zurück in der Schweiz

Lago Maggiore mit starkem Nordwind

Lago Maggiore mit starkem Nordwind

Camp auf dem kleinsten Campingplatz des Tessins am Lago Maggiore

Camp auf dem kleinsten Campingplatz des Tessins am Lago Maggiore

Hübsche Villa am Lago Maggiore

Hübsche Villa am Lago Maggiore

Weiter Richtung Magadino

Weiter Richtung Magadino

In Bern werden wir von Barbara und David erwartet, wir haben sie vor eineinhalb Jahren in China kennengelernt als sie für ein Jahr auf Veloweltreise waren. Mit einem feinen Nussgipfel (für uns der erste seit drei Jahren!) und Kaffee heissen sie uns willkommen und es tut gut, bei Freunden zuhause zu sein. Wir werden verwöhnt und geniessen die Zeit mit ihnen. In der Deutschschweiz ist das Heimatgefühl spürbarer als noch im Tessin, alles wirkt vertrauter, die Sprache ist dieselbe… und doch fühlen wir uns mit unserem anderen Zeit- und Lebensgefühl fast fremder als zuvor in den anderen Ländern.

Barbara und David verwöhnen uns nach Strich und Faden und erleichtern uns den Einstieg in die deutschsprachige Schweiz enorm. Herzlichen Dank euch beiden, wir haben es wirklich sehr genossen!

Barbara und David verwöhnen uns nach Strich und Faden und erleichtern uns den Einstieg in die deutschsprachige Schweiz enorm. Herzlichen Dank euch beiden, wir haben es wirklich sehr genossen!

Mit David unterwegs Richtung Olten. Dank seinem Lastesel-Dienst, flacher Piste und günstigem Wind schafffen wir die 75km bis Olten in einem Tag.

Mit David unterwegs Richtung Olten. Dank seinem Lastesel-Dienst, flacher Piste und günstigem Wind schafffen wir die 75km bis Olten in einem Tag.

Schweizer Landschaften

Schweizer Landschaften

David begleitet uns während 30km auf unserer Fahrt nach Olten. Wir fahren durch hübsche Dörfer, die Sonne scheint und die Sicht auf die Alpenkette ist wunderschön. Ja, wir müssen zugeben, dass wir in einem schönen Land leben. Nach einem letzten gemeinsamen Nussgipfel-Znüni in der Nähe von Burgdorf trennen sich unsere Wege und wir fahren zu Zweit weiter nach Olten. Bei unseren Freunden Mireille und Roger sind wir dort, wo die Idee zur Veloreise überhaupt herkam: Sie waren es, die uns damals vor fast fünf Jahren inspirierten, einmal mit dem Velo loszufahren. Danke ihr beiden, nicht nur für die Inspiration in Nan, sondern auch für die unkomplizierte Gastfreundschaft in Olten!

Auf dem Hauensteinpass wird es auch für uns ernst: Nun sind wir zurück im Kanton Baselland. Das Wetter meint es immer noch gut mit uns, es ist ein wunderschöner Tag und wir geniessen die Abfahrt nach Sissach. In Gelterkinden schlafen wir bei Barbara und Roger, die leider nicht zuhause sind, uns aber den Schlüssel zu ihrer Wohnung überlassen (vielen Dank!!). Und so sitzen wir dann zu Zweit beim Abendessen an ihrem Tisch und es häufen sich die „letzten Male“: Das letzte Abendessen auf der Reise, die letzte Nacht, das letzte Aufstehen. Wir realisieren gar nicht wirklich, dass nur noch eine Etappe bis zuhause ansteht. Es fühlt sich sehr leer an in uns, wir sprechen nicht viel sondern machen uns langsam bereit für den letzten Tag. Immer vertrauter werden die Gegend, die Dörfer, die Velowege. Kurz vor Birsfelden schliesst sich der Kreis und wir kommen auf den Weg, auf dem wir vor drei Jahren weg geradelt sind. Noch ganz genau erinnern wir uns an die Emotionen damals: Den Abschiedsschmerz gepaart mit einem unglaublichen Freiheitsgefühl und dem eigenen ungläubigen Erstaunen, dass wir nun tatsächlich losgefahren sind. Nun sind wir zurück und diesmal vermischt sich Wehmut mit Sehnsucht nach der Welt und Vorfreude auf Freunde und Familie.

Über den Hauenstein Pass nähern wir uns sehr vertrautem Gebiet.

Über den Hauenstein Pass nähern wir uns sehr vertrautem Gebiet.

Auf dem Gipfel unseres letzten Passes - gleichzeitig der Übergang in unseren Heimatkanton Baselland

Auf dem Gipfel unseres letzten Passes – gleichzeitig der Übergang in unseren Heimatkanton Baselland

Immer langsamer werden wir auf diesen letzten Kilometern, die Beine scheinen nicht mehr trampen zu wollen und fühlen sich doch ganz leicht an. So vieles geht uns durch den Kopf und doch finden wir keine Worte. Es tut gut, in diesen Momenten einander wortlos zu verstehen. Nach einer letzten Kurve biegen wir in unsere Strasse ein und rollen langsam auf unser altes-neues Zuhause zu, Freunde und Familie stehen auf der Strasse und erwarten uns mit strahlenden Gesichtern, Schweizerfähnchen und Ballonen – ein schöner Anblick! Überwältigt stehen wir vor ihnen, steigen von den Velos und die nächsten Minuten vergehen mit Umarmungen, ein paar Tränen, Freude, Glück und Lachen. Es ist schön, die Rückkehr mit unseren Freunden und Familien zu teilen. Danke an alle, die den Empfang zuhause zu einem unvergesslichen Moment gemacht haben!

Viele liebe Menschen haben sich versammelt um uns willkommen zu heissen - darunter auch einige Kinder die wir noch gar nie zu Gesicht bekommen haben

Viele liebe Menschen haben sich versammelt um uns willkommen zu heissen – darunter auch einige Kinder die wir noch gar nie zu Gesicht bekommen haben

Vor über drei Jahren sind wir in umgekehrter Richtung durch diese Strasse gefahren - nun kehren wir zurück mit einem unermesslichen Schatz an Erfahrungen und Begegnungen im Gepäck die uns wohl ein Leben lang begleiten werden.

Vor über drei Jahren sind wir in umgekehrter Richtung durch diese Strasse gefahren – nun kehren wir zurück mit einem unermesslichen Schatz an Erfahrungen und Begegnungen im Gepäck die uns wohl ein Leben lang begleiten werden.

Es ist unmöglich in Worte zu fassen was in diesem Moment in uns vorgeht. Abgesehen von der Wiedersehensfreude spüren wir auch eine enorme Erleichterung und Dankbarkeit dass wir nach all dieser Zeit gesund nach Hause zurückkehren dürfen. Ein unermessliches Geschenk und Privileg.

Es ist unmöglich in Worte zu fassen was in diesem Moment in uns vorgeht. Abgesehen von der Wiedersehensfreude spüren wir auch eine enorme Erleichterung und Dankbarkeit dass wir nach all dieser Zeit gesund nach Hause zurückkehren dürfen. Ein unermessliches Geschenk und Privileg.

Ein unvergesslicher Moment

Ein unvergesslicher Moment

Herzlichen Dank an alle die sich eingefunden haben um uns zu begrüssen!

Herzlichen Dank an alle die sich eingefunden haben um uns zu begrüssen!

Danke!

Danke!

Unsere Reise hat uns am 30. April dorthin zurückgeführt, wo wir vor drei Jahren gestartet sind – und doch sind wir unendlich viel weiter gekommen. Wir sind dankbar, nach dieser langen Zeit und den vielen Kilometern auf der Strasse gesund und unversehrt zurückgekommen zu sein. Dankbar für alles, was wir erleben durften. Uns bereichern Begegnungen und Erfahrungen, die wir unser ganzes Leben lang mittragen werden. Wir erlebten ein Zeit- und Distanzgefühl, das wir so niemals erfahren hätten wenn wir nicht mit dem Velo losgefahren wären. Und nun? Wir sind angekommen und irgendwie doch noch nicht. Es fühlt sich nach zuhause an und ist es irgendwie doch noch nicht. Die Taschen stehen noch unausgepackt im Zimmer. Das schnelle Tempo des Alltags und der hohe Organisationsgrad überfordern uns und wir fragen uns, wann und wo wir das Planen verlernt haben und seither einfach in den Tag hinein leben. Auch unser Zeitgefühl ist noch lange nicht Schweiz-konform, die Langsamkeit hat uns entschleunigt. Es wird Zeit brauchen, dies wieder zu ändern. Und doch hoffen wir, uns ein Stück asiatische Gelassenheit und entschleunigtes Zeitgefühl erhalten zu können. Im Moment nehmen wir Tag für Tag, erfreuen uns über das Trinkwasser aus dem Leitung und sind überfordert mit der Fülle unseres Kleiderkastens oder der Joghurt-Auswahl in der Migros. So wie es beim Wegfahren einige Wochen brauchte, bis wir realisierten dass wir nicht nur auf einer kleinen Velotour sind sondern weiter und noch weiter fahren, wird es nun eine Weile brauchen bis wir wirklich verstehen dass unsere Reise zu Ende ist. Dass dies dann wohl der schwerste Teil der Rückkehr wird, versteht sich von selbst.

Wir danken allen, die sich – in welcher Form auch immer – an unserer Reise beteiligt haben! Es war stets schön, Rückmeldungen zu erhalten. Ein besonders Dankeschön geht an unsere unverwüstliche Basisstation für die viele Extra-Arbeit in den letzten drei Jahren.

Unser letzter Dank gilt den wunderbaren Menschen, denen wir begegneten, die uns halfen oder uns bei sich zuhause aufnahmen. Ohne sie wären wir um viele Erlebnisse und Erfahrungen ärmer. Mit jedem Land verbinden wir unzählige Geschichten, Gesichter und Menschen, die uns mit Gastfreundschaft beschenkt und mit ihrer Lebenshaltung tief beeindruckt haben. Als Fremde willkommen geheissen zu werden war für uns das grösste Geschenk. Voller Dankbarkeit für jeden einzelnen dieser mehr als 1000 Tage beginnen wir nun das Leben nach der Reise.