Nahost-Feeling, Nemrut Dagi und Göbekli Tepe

Kein Mensch ist zu sehen. Die Sonne brennt vom Himmel, der Asphalt flimmert, Zikaden zirpen, der Mund ist trocken und verlangt ständig nach Wasser. Der stellenweise auftretende Wind bläst uns heisse Luft wie aus einem Haarföhn entgegen. Auf der Temperaturanzeige des Velocomputers werden 44°C angezeigt. Neben uns trottet seit einiger Zeit hechelnd ein streunender Hund mit weit heraushängender Zunge her. Einer von der netten Sorte, die uns wohl auf der Suche nach etwas Gesellschaft jeweils über mehrere Kilometer treu begleiten. Er sieht sogar erstaunlich gepflegt aus und folgt uns, obwohl es stetig aufwärts über einen Pass geht. Ich gebe ihm ein paar Spritzer Wasser aus meinem Bidon, welche er gierig trinkt. Armes Tier. Irgendwann sind wir ihm wohl zu langsam oder uninteressant und er verzieht sich.

Es geht gegen Mittag zu, wir haben das anatolische Plateau verlassen und sind unterwegs in Richtung Süden, nach Kahramanmaraş. Die aktuell vor uns liegende Passhöhe haben wir noch nicht erreicht, als wir einen provisorisch errichteten Unterstand am Strassenrand entdecken. Erstellt aus ein paar Holzstangen, notdürftig mit Ästen bedeckt, an denen einige vertrocknete Blätter hängen, zum Schutz gegen die Sonne. Der erste Schattenplatz seit längerer Zeit, wir legen eine Pause ein. Wohl zu spät – Nora klagt über Kopfschmerzen. Mit den Temperaturen über 40°C könnten wir leben, die Luft ist so trocken dass es gut auszuhalten ist. Unser Problem ist jedoch die starke Sonneneinstrahlung, die trotz mehreren Schichten Sonnen- und UV-Schutz auf dem Kopf und unzähligen Litern Wasser irgendwann unerbittlich durch die Schädeldecke dringt und unsere Tagesziele zunichte macht. So stranden wir 30km vor der nächsten Stadt unter einem Unterstand und Noras Zustand verschlimmert sich, so dass an ein Weiterfahren nicht zu denken ist. Hitzeschlag. Bereits zwei Tage zuvor mussten wir einen Tag länger in Develi bleiben, weil ich einen Sonnenstich davongetragen hatte. Wir haben die Intensität der Sonne hier im Südosten der Türkei definitiv unterschätzt. So macht Velofahren weder Sinn noch Spass. Per Anhalter gelangen wir rund 5h später doch noch nach Kahramanmaraş und quartieren uns gleich mal zwei Nächte in einem netten Hotel ein, wo sich Nora erholen kann und wir unsere Pläne überdenken können.

Willkommener Schatten

Willkommener Schatten

Aufstieg zum Gebekli-Pass, über 20km staubige Baustelle

Aufstieg zum Gebekli-Pass, über 20km staubige Baustelle

Jeder Schatten wird ausgenutzt

Jeder Schatten wird ausgenutzt

Inmitten der kargen Berge immer wieder grüne Dörfer

Inmitten der kargen Berge immer wieder grüne Dörfer

Nora freuts: Endlich werden wir wieder einmal von Frauen angesprochen

Nora freuts: Endlich werden wir wieder einmal von Frauen angesprochen

Kinderaugen...

Kinderaugen…

Diese fleissigen Frauen machen Nudeln für Suppen und wollen mit Nora posieren

Diese fleissigen Frauen machen Nudeln für Suppen und wollen mit Nora posieren

Weiterer Strassenverlauf: Unbeständig

Weiterer Strassenverlauf: Unbeständig

Ab durch die Wüste, vor Develi

Ab durch die Wüste, vor Develi

Heiss!

Heiss!

1 Tag Hitzepause in Develi

1 Tag Hitzepause in Develi

Wir beschliessen die heissen Regionen hier „unten“ mit Bussen zu überbrücken und uns erst wieder auf dem etwas kühleren Plateau beim Vansee auf die Fahrräder zu schwingen. Diese Entscheidung gibt uns auch einige Tage Reserve im Hinblick auf die Organisation unserer Weiterreise nach der Türkei. Unsere Visa für den Iran wurden noch immer nicht bestätigt. Schlimmstenfalls müssen wir nach Ablauf unseres Türkei-Aufenthaltes per Ende August die Grenze nach Georgien überqueren, wo wir visafrei einreisen könnten.

Ein weiterer Vorteil der motorisierten Fortbewegung ist unser erweiterter Radius. Wir beziehen ein Hotelzimmer in Şanlıurfa, einem muslimischen Pilgerort unweit der syrischen Grenze und die fünftheiligste Stätte des Islam. Mit dem Fahrrad wären wir nie so weit in den Süden gefahren, hier ist es nochmals um einiges heisser, auch um 18 Uhr hat es noch 37°C. Nebst dem, dass die Stadt einen gewissen Nahost-Charme besitzt und uns zumindest etwas für die verpasste Möglichkeit Syrien zu besuchen entschädigt, können wir von hier aus Tagestouren zu den Attraktionen der umliegenden Region unternehmen.

Abraham lebte im heutigen Urfa: Pilgerort Karpfenteich

Abraham lebte im heutigen Urfa: Pilgerort Karpfenteich

Auf dem quirligen Bazaar in Urfa

Auf dem quirligen Bazaar in Urfa

So besuchen wir auch von dort aus Nemrut Dağı, ein faszinierender Ort hoch auf einem Gipfel im Taurusgebirge. Vor über 2000 Jahren hatte sich dort der etwas grössenwahnsinnige König Antiochos zum Status eines Gottes erhoben und liess sich zusammen mit anderen Gottheiten (Zeus, Herakles, Kommagene und Apollon-Hermes) in Form von riesigen Steinstatuen verewigen. Zudem liess er den Gipfel künstlich erhöhen indem er 300’000 Tonnen Geröll zu einem 45m hohen und 150m im Durchmesser betragenden Kegel aufschütten liess.

It's a long way to Nemrut Dagi, auch mit dem Auto (höchster Gipfel im Hintergrund)

It’s a long way to Nemrut Dagi, auch mit dem Auto (höchster Gipfel im Hintergrund)

Auf der Ostseite der Stätte: Die Reihe Statuen vor dem künstlich aufgeschütteten Gipfel

Auf der Ostseite der Stätte: Die Reihe Statuen vor dem künstlich aufgeschütteten Gipfel

Der grössenwahnsinnige Antiochos

Der grössenwahnsinnige Antiochos

Antiochos stellte seine Statue neben grosse Gottheiten wie Zeus und Apollon

Antiochos stellte seine Statue neben grosse Gottheiten wie Zeus und Apollon

300'000 Tonnen Geröll wurden damals zu einem 45m hohen Kegel aufgeschüttet

300’000 Tonnen Geröll wurden damals zu einem 45m hohen Kegel aufgeschüttet

Wir überqueren den Euphrat - wow!

Wir überqueren den Euphrat – wow!

Auf dem Weg zum Nemrut Dağı passieren wir nebst dem riesigen Atatürk-Staudamm (produziert ca. einen Zehntel des türkischen Strombedarfs) weite Felder mit Tabakpflanzen, Baumwollsträuchern, Feigen- und Pistazienbäumen, sowie ein riesiges Zeltlager mit syrischen Kriegsflüchtlingen. Auch in Şanlıurfa ist die Nähe zum Nahen Osten spürbar. Männer in formlosen langen weissen Gewändern wandern durch die Gassen des Marktes, den es schon zu Zeiten der Karawansereien gegeben hat und versuchen den Ellenbogen der entweder ganz schwarz oder sehr farbenfroh gekleideten Frauen auszuweichen.

Hier in Urfa geht auch der Ramadan-Monat zu Ende und wir dürfen miterleben, wie sich sich die Stimmung in den Strassen von Tag zu Tag verändert. Der Abschluss der Ramadan-Zeit wird traditionellerweise mit dem dreitägigen Zuckerfest gefeiert. Sonst verstreute Familien finden zusammen und besuchen gemeinsam die Moschee bevor sie sich auf dem Friedhof einfinden, um die Gräber der verstorbenen Verwandten zu besuchen. Danach beginnt der kulinarische Teil, jeweils im Hause der Eltern. Dafür werden neue, in den Tagen zuvor gekaufte Kleider angezogen, Frisuren gestylt und Makeup aufgetragen. Die Kinder ziehen von Haus zu Haus und verlangen nach Süssigkeiten (ähnlich wie Halloween in den USA). Auch auf offener Strasse werden Süssigkeiten hin- und hergereicht, welche bereits seit Wochen in den Geschäften und auf Strassenkarren verkauft werden.

Abends um 21.30 Uhr in Urfa: Alle sind unterwegs!

In den Tagen davor herrscht eine Aufregung und Geschäftigkeit die uns zu Hause an die Zeit vor Weihnachten erinnert. Das tagsüber durch die Hitze etwas träge erscheinende Leben blüht nach Sonnenuntergang zu einer unerwarteten Intensität auf. Tagsüber geschlossene Läden werden geöffnet, die Strassen sind auch noch weit nach Mitternacht überfüllt mit Menschen mit vollbepackten Tüten in der einen und übermütigen Kindern an der anderen Hand. Waren anpreisende Verkäufer sitzen zuoberst auf ihren „Grabbeltischen“ auf Bergen von Kleidern, die reissenden Absatz finden. Die Restaurants und Teestuben sind voll besetzt, es darf kurzzeitig wieder im öffentlichen Raum gegessen und getrunken werden. Wir spüren wie die Muslime dem Ende vom Ramadan entgegenfiebern, wie sie doch das gesellschaftliche Zusammensitzen mit einem Çay in der Hand vermisst haben. Sogar wir freuen uns auf das Ende dieser Zeit, auch wenn es äusserst interessant war während der gesamten Dauer eines Ramadan in einem muslimischen Land zu verbringen und die verschiedenen Phasen mitzuerleben. Aber wir sind es etwas leid geworden, immer im Versteckten einen Schluck Wasser zu trinken sowie ewig ein Restaurant suchen zu müssen, das uns bereits vor Sonnenuntergang etwas zu Essen auftischt. Ausserdem haben wir genau dieses quirlige Leben, wie wir es jetzt mitten in der Nacht auf den Strassen erleben, etwas vermisst.

Zum Abschluss unseres Aufenthaltes in Urfa besuchen wir eine ganz spezielle Stätte: Göbekli Tepe. An diesem Ort, rund 25km von Urfa entfernt, wurde vor ca. 12’000 Jahren (!) als sich die Menschheit noch im Steinzeitalter befand eine einzigartige Stätte erbaut, die noch immer viele Rätsel aufgibt. Dabei wurden Steine aufeinandergehoben, die mehrere Tonnen schwer sind – und das vor der Erfindung des Rades oder irgendwelcher mechanischer Hilfsmittel. Ein faszinierender Ort, noch völlig untouristisch, der noch nicht auf dem Radar des Massentourismus erscheint. Der Besuch der Ausgrabungen, welche noch in vollem Gang sind, ist kostenlos. Ein Holzsteg führt den Besuchenden oberhalb der vier bereits ausgegrabenen Stätten vorbei (bis zu 16 weitere wurden unter der Erde gefunden, erst ca. 5% wurde ausgegraben) und man verlässt den Ort mit noch mehr Fragezeichen als vor dem Besuch. Eine Theorie besagt, dass hier der erste Ort war, an dem der Mensch eine höhere Macht anerkannt hat, sich also vom animistischen Glauben abgelöst und eine Form von Religion gelebt hatte. Wer sich genauer über den Ort informieren möchte, findet z.B. (hier) auf Youtube die National Geographic Dokumentation, die den Ort weltweit bekannt gemacht hat.

Göbekli Tepe: 12'000 Jahre alte Baukunst - faszinierend!

Göbekli Tepe: 12’000 Jahre alte Baukunst – faszinierend!

Mysteriöse Abbildungen von Tieren

Mysteriöse Abbildungen von Tieren

9 thoughts on “Nahost-Feeling, Nemrut Dagi und Göbekli Tepe

  1. Heeeey! What a surprise! Schnäll e Päusli bim schäfferle und mol schnäll uf e “Gone travelo” – Button in dr Favorite-Leischte druggt, und so bin ich jo diesmol unglaublich aktuell bi Eurem neuischte Idtraag drbi, *freu* ! Das nenn ich mol e schöns Päusli! Ach Briederli, zum Glügg bisch so verruggt und schleppsch Dini Kamera-Usrüschtig mit, suscht miesste mir uf die unglaubliche Bilder verzichte! Übrigens, Hammer-Afang vom Bricht…sone alti Western-Musik drzue hät grad no passt, hihi! Die Infos über s’Ändi vom Ramadan sind megaspannend, dangge! Hän Ihr das beobachtet oder gläse wie das ablauft? Ich hoff es goot Dir Nora wieder besser?! Do chöne mir jo no so alli schriebe, dass Ihr Euch sölled Sorg gä, gäll wenn Ihr aifach kei Schatte findet, hei! Bi froh, dass Ihr Euch für e Bus entschiede händ, so chöned Ihr wieder e bitz Chraft tanke! Bi gspannt, wo dure Euch dr Wäg füührt…chunt s’Visum no oder net?! Grosses Druggi!

    • Huhu Schwesterli, die Infos beträffend Ramadan hämer vo verschiedene Quelle becho, Ab und zue trifft me Deutsch-Türken, us dene hole mr denn immer so viel Infos use wie möglich. Englisch wird in dr ganze Türkei sehr sälte gsproche, leider. Uns gohs beidne wieder guet, sind mittlerwyle in Batman (super oder?!). Beträffend Visa wärde mr Mitti nägst Woche wider News becho,, hoffe mr s bescht! Mutz!

  2. Ohhh Hallooo Ihr zwei Liebe Michael und Nora, das isch jo wieder ä sone Wucht. Bin fascht abem Schtuehl gkait; nur scho dKopf obe bim Bricht isch eifach fantastisch! Soviel erläbe und sone Vielfalt, vo Wüeschti und Städteläbe, vo Tier und Natur und Himmel und Wasser, eifach wunderschön! Aber ebe alles hät leider sin Priis: mit Hitzeschtaus etc. Drum sind ihr au älei underwägs; das könne unseri Körper chum uushalte. Und all die wunderschöne Bricht/Fotos;Videos,chöne mitzerläbe isch eifach genial! Weiss net ob ich das no chönti bi sonere Hitz. Dankedanke. Und penibel händ ihr no alles notiert, sone gueti Zammefassig:) Ich drugge Euch härzlig, dass ihr so regelmässig brichtet und so kreativ alles gschtalted. Han schnäll dä riese Atlas füre gschläppt zum wieder mol än Idrugg zha, won ihr grad sind. Han gar nie rächt mitbicho, dass Türkey soo gross isch 🙂 Ich vermiss Euch sehr. Lueget guet und bliibet im Schatte, erholet Euch guet , …hoffentlig gohts besser?! Liebi härzligi Grüess in d Wüeschti

    • ou wenn i noni viel in Blog gschiebe ha, verfolgi üchi Route genau. Im spezielle tuet mi d’Landschaft vo der Türkey total überrasche. Nach dere Hitzstrapaze chli es Päusli mache, usruie und Türkisch Kafi trinke! Fahred ihr ou nach Syrien? Üsi ex Nochbers chömed vo Aleppo, ca. 200 km vo Kahramanmaraş ewäg. Für die witere 1000 km wünschi eu viel Gsundheit und hebets guet zäme

      • Giovanni, schön dass so intensiv mitreisisch/liesisch! Leider wird’s nüt mit Syrien, au wenn mr sehr gärn gange wäre! Mr händs uns paarmol überlegt, aber 1. bechunsch wohl kei Visum da Kriegszustand und 2. ischs sowieso eifach dr falschi Momänt das Land z bereise, mr chämte uns komisch vor als Touriste es Land wo im Krieg isch z besuche. Sehr schad! Liebe Gruess us Batman

    • Huhu Mami, danke für din liebe Kommentar! Jo es isch grad e verruckti Zyt, mr erläbe so viel schöni Sache, aber die klimatische Bedingige sind herausforderend. Hüt simer am 4i am morge ufgstande zum dr Hitz z entgoh und bis spötistens Mittag am Ziel z’sy. Aber das isch nüm dr Sinn vom Radreise, will me denn so im Stress isch und quasi gege d Zyt fahrt, jedi Minute wird’s heisser… mol luege ob mr nid nomol dr Bus nähme. Uns gohts aber ebe beidne wieder guet, danke. Liebe Gruess zrugg!

  3. Huhu Travelos
    Danke für dr neui Bricht. Isch scho spannend mit däm Göbelki Tepe…mir händ immer s Gfühl, dass mer für alles münd en Erklärig ha, aber mängmol duets uns au guet, die Sache eifach aznäh. Ich gang denn nachhär no uf YouTube go läse…
    Super Bilder, spannende Text…juhuiii.
    Adee und gäbet euch witerhin Sorg

  4. Sali zäme
    Bim Filmli esch mer ufgfalle, dass d’Nora gloub die einzigi Frou gsi esch ohne Chopfbedeckig 🙂
    E liebe Gruess us mine UHU-Ferie
    Claudia

  5. Hallo Ihr zwei tapferen Pedaleure,diese Hitze muss ja ganz schlimm sein und das noch ohne Schatten.Ich frage mich wie Ihr das schafft,auch noch über die Pässe zu kommen? Ich habe schon geschwitzt beim Nichtstun, als wir über 30 Grad hatten.Tragt Sorge zu Eurer Gesundheit, Ihr habt ja noch viel vor.Eure Berichte sind immer so spannend und unterhaltend geschrieben und die Bilder sind ganz toll.Ich hoffe für Euch, dass das Klima bald angenehmer wird.( der nächste Winter kommt bestimmt) ich freue mich schon auf die nächste Nachricht und sende Euch viele Mutzeli.. Rita

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