*Huup!*, *Röhr!*, *Dröhn!*… wenn man so darüber nachdenkt dann ist das einzige, was Indien so unglaublich laut macht, der unsägliche, nicht nachlassende Verkehrsstrom. Wie schon in China, welches eine ähnliche Verkehrslage aufweist, fragen wir uns mal wieder wie es hier wohl gewesen sein muss, als der Motor noch nicht Einzug gehalten hat und für fast jedermann (ja, hauptsächlich Mann) erschwinglich geworden ist. Jedenfalls besten Dank den Herren Lenoir, Otto und Daimler – seit der Erfindung des Verbrennungsmotors versinken diese Länder im akustischen Chaos. Und wer kam überhaupt auf die Idee, standardmässig eine Hupe einzubauen?
Besonders penetrant sind die Busse, dessen Fahrer angeblich kaum je einen Fahrausweis vorzeigen könnten. Einem wütenden Elefanten gleich röhren sie durch die Strassen und tröten alles weg, was sich in ihrem Blickfeld bewegt. In den wuseligen Städten bedeutet das schlicht: Dauerhupen. Und dabei natürlich nur im äussersten Notfall mal die Bremsen benutzen – aber dann gleich in solchem Ausmass, dass hinten sämtliche Turbane verrutschen und die Plätze neu gemischt werden.
Gleich an zweiter Stelle auf der Nervigkeits-Skala kommen die unzähligen Moto-Rikschas, die gelb-schwarz bienenartig gestrichenen, dreirädrigen Mini-Taxis. Interessant übrigens, dass die thailändische Tuktuk-Version viel bekannter ist als die indische Variante. Obwohl in Thailand vergleichsweise wenige dieser Gefährte unterwegs sind resp. nur in den grösseren Städten, summen die lärmigen Dreiräder in Indien hinter jeder Ecke hervor. In den Städten scheinen sie manchmal gar 90% des Verkehrs auszumachen. Sie sind extrem laut, stinkend und schneiden uns liebend gerne den Weg ab, was übrigens auch eine Spezialität der quietschbunten Busse ist. Die erstaunlich gut funktionierende Regel „was hinter dir ist, hat dich nicht zu interessieren“ hört nämlich in dem Moment auf, in welchem zwei Fahrzeuge auf gleicher Höhe sind. Dann gewinnt wieder der Grössere, oder Lautere, oder Stinkendere… oder alles zusammen. So kommt es jeden einzelnen Tag mehrere Male vor, dass uns ein Bus mit Schwung überholt, nur um gleich danach direkt vor uns einzuscheren und einen Vollstop einzulegen, weil ein Passagier aussteigen möchte um sich den Turban neu zu binden.
Trotzdem, alles ist relativ. Nach gesammelten Erfahrungen aus 1000 Tagen unterwegs fühlen wir uns noch immer 1000 mal wohler auf indischen Strassen als auf jenen in beispielsweise Zentralasien, den Emiraten oder auf den Hauptstrassen in Thailand. Besonders die immens grossen LKW bremsen hierzulande im Zweifelsfall stets brav hinter uns und überholen nur, wenn der Weg wirklich frei ist. Dazu erhalten wir erst noch des öfteren einen netten Gruss aus der Führerkabine, winkende Hände, lachende Gesichter, ein „Hi!“… darauf hätten wir in den oben genannten Ländern lange warten können. In Zentralasien vernebelte den Fahrern wohl der Alkohol die Sicht und in Thailand und Dubai fuhren die riesigen Autos so schnell, dass sie uns wahrscheinlich höchstens als flüchtigen Schatten am Strassenrand wahrnahmen.
Jaja, der Motor. Er hat wohl unzählige Menschen verdorben. Über viele Länder verteilt könnten wir unzählige Beispiele aufzählen als Einheimische fast in Ohnmacht fielen wenn wir erzählten, dass wir in den 12km entfernten, nächsten Ort ernsthaft per Fahrrad fahren wollen. To Mangalore?! By cycle?! Ouuuooohh! Vor nicht allzu langer Zeit haben ebenjene Menschen solche und noch viel grössere Distanzen aus Mangel an Alternativen aus reiner Muskelkraft bewältigt. Heute drehen ungläubig dreinblickende Inder verwirrt an meinem rechten Handgriff um zu sehen, ob da an unserem Gefährt nicht doch irgendwo ein Motor versteckt eingebaut ist. No? *kopfwackel*

Beim Überqueren der Flüsse entdecken wir meist diese fast versinkenden Boote im Wasser. Hier holen fleissige Taucher Eimerweise Sand vom Grund, welches als Baumaterial verkauft wird.

Am Ufer wird der Sand ebenfalls in mühsamer Handarbeit von den Booten auf bereitstehende Lastwagen umgeladen.
Im Gegensatz zu Thailand, wo fast kein einziger Mensch mehr als fünf Schritte zu Fuss geht bevor er sich erschöpft auf seinem Motorrad niederlässt, sind in Indien doch noch viele zu Fuss unterwegs. Besonders zu erwähnen sind hier die Schulkinder, welche immer zu Schulbeginn (nach 9 Uhr morgens) und Schulschluss (gegen 15.30 Uhr) zu hunderten auf den Strassen anzutreffen sind, jeweils in piekfeinen Schuluniformen, ein herrliches Bild. Übrigens sind auch mit Kindern gesäumte Strassen für die ganz oben erwähnten Speed-Junkies (auch Busfahrer genannt) keineswegs ein Grund, etwas langsamer zu fahren. Diese Kinder bringen jedenfalls tagtäglich mehrere Kilometer Schulweg zu Fuss hinter sich und versuchen dabei jeweils, eine Fahrt auf einem vorbeifahrenden Motorrad zu erhaschen. In solchen Momenten müssen wir stets an die hier skurril anmutenden in der Schweiz eingetrichterten Regeln für Schulkinder denken: „Die Hauptstrasse ist möglichst zu meiden“ oder „Nie mit einem Fremden mitfahren“…

Ganz Kerala hat eine enorme Population an Greifvögeln – Adler, Falken, Bussarde, Milane.. angeblich bis zu 39 verschiedene Spezies sind hier ansässig.

Nicht alle der in sporadischem Abstand auftretenden Forts sind von Kolonialmächten erstellt worden. Hier Fort Bekal, erbaut von lokalen Herrschern.

Zuckerrohr-Saft frisch ab der Presse im kühlen Schatten. Täglich wird es weit über 30° warm und wir versuchen bis zum Mittag die auf 50-70km reduzierten Tageskilometer hinter uns gebracht zu haben.
Zur Mittagszeit durchfahren wir eine Kleinstadt und da wir Hunger haben ist es an der Zeit, ein Hotel aufzusuchen. Dies nicht etwa, weil die grösseren Hotels tatsächlich des öfteren die besten Restaurants haben, sondern weil hier alle Restaurants verwirrender weise mit „Hotel“ angeschrieben sind. Wieso das so ist konnte uns noch niemand erklären, aber ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass die abendliche Hotelsuche so zum Spiessrutenlauf wird: Da, ein Hotel! Ist so angeschrieben, sieht sogar so aus – aber ist dennoch nur ein Restaurant. Grrr. Die Inder haben wirklich Sinn für Humor.
Am Mittag ist es da einfacher. Restaurants, welche die in einem vorigen Blog bereits erwähnten all-you-can-eat Thali-Meals servieren, sind meist einfach auszumachen, ziehen sie doch eine grössere Kundenmenge an. Die vollsten Läden sind die besten. Also rasch Velos direkt vor dem Eingang geparkt, kurz mit dem grummligen Parkingchef diskutiert dass wir die Velos gerne von drinnen im Blick behalten wollen und deshalb nicht auf dem von ihm zugewiesenen Platz parken möchten, zwei Meals-Coupons am Counter besorgt, Platz suchen, hinsetzen und die unzähligen Mitarbeiter des Lokals den Rest machen lassen. *Zack*, da bringt schon der Bananenblatt-Mann unsere „Teller“, während gleichzeitig der Wasser-Mann zwei Gläser einschenkt, die wir dann eh nicht trinken, zu heikel. Meist kommt als nächstes der Curry-Mann, der uns *Klatsch* zwischen drei und fünf verschiedene Curries oder Chutneys aufs Blatt klatscht, dicht gefolgt vom bereits von hinten drängelnden Reis-Mann, der ein gefühltes halbes Kilo Reis mit Schwung direkt unterhalb der Saucen deponiert. Dann folgt noch *Flutsch* der Sambar-Mann, der uns die leckere Sambarsauce übers Reis giesst und *Knack* zu guter Letzt das knusprige Pappadam, frisch aus der Pfanne.
Hört sich stressig an? Ist es auch. In diesen Lokalen ist die grösste Herausforderung, sich nicht dem Tempo der Angestellten oder den Gästen anzupassen. Ein durchschnittlicher indischer Gast hat eine Portion Thali inkl. Nachschlag an Reis und Curries innert 10 Minuten herunter geschlungen. Noch während er den letzten Bissen am kauen ist, steht er auf, wäscht sich die rechte Hand (nein, ausschliesslich die rechte) und stürmt wieder aus dem Lokal. In dem Moment, als er vom Waschtrog auf dem Weg zu Ausgang ist, wurde sein Platz bereits geräumt, gereinigt (vom Räum-Mann und Putz-Mann) und vom nächsten Gast besetzt. Crazy India.

Etwas geruhsamer geht es beim Frühstück zu und her. Hier die klassische Auswahl: Idli, Vada, Uppma, Appam und Sambar
Falls sich nun jemand fragt, ob denn nur Männer in den Restaurants arbeiten dem sei gesagt, dass wir tatsächlich nur äusserst selten mal eine Frau entdeckt haben. Und dann eigentlich nur als Abräum-Frau oder natürlich Putz-Frau. Dabei hat Kerala eine äusserst ungewöhnliche Statistik zum Thema Frauen: Als einziger Bundesstaat übersteigt hier nämlich die Anzahl der Frauen die der männlichen Bevölkerung. Auch Lebenserwartung und Bildungsniveau liegen weit über dem nationalen Schnitt. In vielen Bundesstaaten ist es leider noch heute traurige Tradition, dass weibliche Babies abgetrieben oder gleich nach der Geburt getötet werden – dies da sich die Familie die zwar längst verbotene, aber immer noch weit verbreitete Unart der immens hohen Mitgift bei einer Heirat nicht leisten könnte. Viele Familien verschulden sich über Generationen hinweg, nur um ihre Tochter unter die Haube zu kriegen. Nicht selten erwartet die Familie des Ehemannes üppige Geschenke wie Schmuck, Bargeld oder gar Autos und Häuser.

Der Ort hat definitiv Charme und wurde 1500 als erster europäischer Stützpunkt in Indien von den Portugiesen gegründet.

Viele Jahrhunderte lang war Cochin (Kochi) im Mittelpunkt des indischen Gewürzhandels. Schon vor der Entdeckung des Seeweges nach Indien durch Vasco da Gama wurde reger Handel mit den Arabern, Syrern und Chinesen betrieben.

Kerala wird erfolgreich von einer kommunistischen Partei verwaltet. Wie es scheint, stehen bald wieder Wahlen an…
Noch im Süden des Bundesstaates Kerala waren wir überrascht, wie viele Kirchen dort die Landschaft zieren. Hier, weiter im Norden, dominieren länger je mehr die Moscheen. Und wie vorher die Christen scheinen auch die Muslime einen Hang zum Übertreiben zu haben, denn jedes noch so kleine Nest verfügt über mindestens ein – meist gewaltiges – Gotteshaus. Die bunten Saris und die langen schwarzen Haare der Frauen sind in diesen Dörfern fast komplett von der Bildfläche verschwunden und haben schwarz verhüllten Frauen Platz gemacht, von denen sogar oft nur noch die Augen zu sehen sind. Eine sehr konservative Gesellschaft scheint sich hier an der Küste des Arabischen Meeres niedergelassen zu haben. Niqab tragende Frauen haben wir zuletzt in den Emiraten und im Oman gesehen, sogar der Iran hat die lockerer gekleideten Frauen als hier, ist doch dort der einfache Umhang Chador am stärksten vertreten.
Liegt es eventuell daran, dass überdurchschnittlich viele Inder von der Westküste ihr Glück in den konservativen, arabischen Golfstaaten suchen und meist auch finden? Die Emirate, Oman, Saudi Arabien und Kuwait haben steten Bedarf an Billigstarbeiter, welche sich auf Grossbaustellen abrackern um im Akkord gläserne Wolkenkratzer in die Wüstensonne stellen. Trotz Hungerlöhnen und miesesten Anstellungsbedingungen schicken diese unermüdlichen Arbeiter unendlich mehr Geld nach Hause als hierzulande mit Kokosnüssen und Fischfang zu verdienen ist. Ein paar facts für Zahlen-Interessierte: Zwischen 2001 und 2007 hat sich der von den VAE nach Indien überwiesene Geldbetrag von rund 13 Mrd. USD auf über 29 Mrd. USD mehr als verdoppelt. 58% davon flossen in den hiesigen Bundesstaat Kerala, wo sich die zurückgebliebenen Familien dafür ein schickes Haus bauen konnten, welche nun die palmengesäumten Strandstrassen zieren. Wir haben mit einigen Indern gesprochen, die jeweils nach 7-8 Jahren wieder nach Hause kamen und hier ihrem besseren Leben frönen konnten. Hatten sie vielleicht dabei nebst Flachbildfernsehern auch eine neue religiöse Ideologie im Gepäck? Wer weiss? Wahrscheinlicher ist, dass durch die sehr frühe Einführung des Islam in Kerala, nämlich noch zu Lebzeiten des Propheten Mohammed, gewisse Gesellschaftsstrukturen übernommen wurden – denn im Gegensatz zum Norden Indiens kam die neue Religion nicht durch zentralasiatische Eroberer, sondern über arabische Händler ins Land.

Udupi ist ein hinduistischer Pilgerort – diese hölzernen Gefährte werden bei speziellen Zeremonien eingesetzt

Beim Einbruch der Dunkelheit mehren sich diverse Aktivitäten rund um den Tempel. Hier malt jemand dieses Mandala auf den Boden vor einem der Wagen.

Währenddessen versammeln sich mehr und mehr Menschen um den Tempel – jemand erklärt uns, dass bald eine Puja Zeremonie stattfinden wird

…gefolgt von dem monströsen Holzwagen, welcher von Puja Teilnehmern an dicken Seilen gezogen wird – sehr interessante Erfahrung, wir hatten Glück im rechten Moment hier gewesen zu sein.
Wie auch immer, wir haben ja gelernt den in uns aufbauenden Vorurteilen kritisch gegenüber zu stehen. Und natürlich sind auch die Muslime hier, trotz konservativster Einstellung, genau so wie wir sie kennen und schätzen gelernt haben: stets hilfsbereit und freundlich. Kaum haben wir anderntags kurz angehalten um uns auf der anderen Strassenseite eine frisch aufgeschlagene Kokosnuss zu gönnen, steht uns ein übereifriger Mann zur Seite, schaut besorgt auf die Velos und meint mit tiefen Sorgenfalten im Gesicht: something problem?
Nein, kein Problem, versichern wir ihm, während wir die Kokosnüsse vom Verkäufer aufschlagen lassen um an das köstliche Fleisch zu kommen. Beruhigt zieht er von dannen und frisch gestärkt geht es auch für uns kurz darauf weiter, leider unterdessen des öfteren auf der teils stark befahrenen Strasse 17, resp. 66. Die schönen Nebenstrassen vom Süden sind kaum mehr vorhanden und wir verbringen Tag für Tag auf dieser Hauptachse und versuchen das Gehupe und vor allem den immensen Staub und Smog auszublenden. Das Tuch vor dem Gesicht wird zum Standard und wenn wir dieses abends auswaschen und die entstehende, pechschwarze Brühe anschauen, sind wir froh, dass dies nicht alles in unseren Lungen gelandet ist. Indien ist so dreckig wie noch kein Land zuvor, dieses Vorurteil hat sich definitiv bestätigt. Vielleicht ist ja auch das der Grund, weshalb so viele Muslimas Niqab tragen.

Was auf indischen Strassen an Dreck umherfliegt, ist besonders bei Nacht im Scheinwerferlicht gut sichtbar. Hier in Mangalore.

Weiterer Pilgerort Murdeshwar – der riesige Gopuram und die massive Shiva Statue sind hier das Highlight
Ihr zwei!
Danke für dr neui Indien-Blog und die tolle Foti derzue. Jetzt hani wieder chli meh über das Land erfahre…
Super s Föteli vom Grosi sim Lade. Ha au grad müesse schmunzle 🙂
Hebets guet und gäbet euch Sorg!
Adeeee
Sali zäme
Schön, wieder von euch zu lesen!
Oje, das Gehupe und Gedröhne würde mir ziemlich auf die Nerven gehen!
Und wegen der Sauberkeit in Indien habe ich schon so einiges von meinen Schwiegereltern gehört.
Aber die Bilder sind wieder sehr eindrücklich. Die grossen und mächtigen Bäume gefallen mir sehr 🙂
Ich bin gespannt, wie ihr eure Westwärts-Reise nun plant.
Geniesst die Zeit weiterhin und passt auf euch auf!
Liebe Grüsse
Claudia
Hallo ihr Lieben, das Titelbild könnte man sofort als “Stillleben” malen, so gelungen! Diesmal hast du Miguel wieder ganz schöne, und viele Bilder gemacht. Die wunderbaren alten Bäume, dass es solche überhaupt in Indien noch gibt. Schallend herausgelacht habe ich beim Bild: “und überall grüsst die Kuh”, das ist wirklich ein Hit! Nachdenklich stimmt dann aber wieder das Bild mit den total vermummten Frauen, wo einige Kilometer zuvor noch Frauen in Saris zu sehen waren…. Dann habe ich auch wieder mal Noras spezielle Bluse bewundert…. und natürlich die über 25’000 km, die ihr schon unterwegs seid. Auch die beschriebenen verschiedenen “Berufe” der Männer im Restaurant sind ein Lacher, wie auch ihr “Klatsch-Klatsch”-Servieren des Essens, gut geschrieben Miguel!!!!
Weiterhin alles Gute euch beiden, und auch dem blinden Passagier…..
Viele liebe Grüsse
Mary-Jones
Los an eine Goa-Party mit euch; mit Strand und Mondschein, so könnt ihr den Staub abschütteln 😉
DANKE DANKE IHR LIEBEN für Eure kurze aber wichtige Info.
einen wundervollen Aufenthalt in Dubai
liebi Umarmig