Und so machen wir uns also mit wiedergewonnener Energie und Velolust auf den Weg zur georgischen Grenze und lassen die „Grenzstadt“ Doğubayazıt, welche lediglich 35km von der iranischen Grenze entfernt liegt, hinter uns. Noch immer sind wir zwar etwas enttäuscht und desillusioniert dass es mit dem Iran vorerst nichts wird, haben wir uns doch sehr auf dieses Land und vor allem deren Leute gefreut. Doch schliesslich es gibt immer einen Plan B (Gruss an Roger und Mireille). Statt den persischen Zeichen versuchen wir uns nun das georgische und russische Alphabet beizubringen und uns mit den Gegebenheiten dieses für uns ebenfalls ziemlich unbekannten Landes vertraut zu machen. Vielleicht wagen wir von Aserbaidschan nochmals einen Versuch, ein Visum zu kriegen. Eventuell hat sich die Situation bis dahin etwas entschärft.
Vorher gilt es aber noch ein paar Kilometer auf türkischem Boden zu fahren. Nach Erzurum führt uns die Strecke zuerst über eine karge Ebene, bevor wir nochmals einige hundert Meter an Höhe gewinnen und sich die Landschaft überraschend wandelt. Wir folgen meist einem Flusslauf und durchfahren mehrere enge und tiefe Täler, die sich durch die bergige Landschaft schlängeln. Links und rechts der Strasse geht es steil hoch und wir kommen uns mal wieder sehr klein vor in dieser riesigen Bergwelt.
Leider hat auch die aktuelle Regierung diese Gegend als optimal für diverse Wasserkraft-Bauprojekte entdeckt. So bemerken wir verdutzt, dass unser Papier- wie auch Onlinekartenmaterial anscheinend veraltet ist und die eigentliche Strasse sowie einige Dörfer nun auf dem Grund dieses Stausees liegen, an welchem wir gerade entlang fahren. Einige Täler weiter ist die Bergidylle definitiv vorbei und die nächsten 60km kämpfen wir uns über staubige Schlaglochstrassen, deren Belag von den vielen Baustellen-Lastwagen arg in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ganze Landschaften werden momentan umgegraben, Tunnels gebohrt sowie Strassenschneisen in die Berge gefräst. Drei Mal wird vor uns die ganze Strasse für eine Stunde gesperrt, da Sprengungen am Berg vorgenommen werden. Gebaut werden hunderte unterschiedlich grosse Wasserkraftwerke, um dem wachsenden Energiebedarf der Türkei gerecht zu werden. Interessierte können hier einen Bericht der ZEIT-Online lesen. Der viele Verkehr, heftigster Gegenwind sowie unser Ärger über soviel Zerstörung dieser herrlichen Natur lassen unsere Stimmung weiter absinken und als uns dann noch der erste Regenguss seit fast drei Monaten überrascht sind wir uns nicht zu fein, den Daumen rauszuheben und uns von einem Kleinbus bis zum nächsten Ort mitnehmen zu lassen.
Starker, zermürbender Gegenwind, wir kommen kaum voran (10km/h bei 7% Gefälle… normalerweise wären wir mit 30-40km/h unterwegs!):

Gebaut werden unter anderem solche Hydrokraftwerke, der Eingriff ist schon bei kleinen Kraftwerken (Versorgung für 1-2 Dörfer) deutlich sichtbar
Schliesslich überqueren wir unseren letzten türkischen Pass und erblicken in der Ferne das Schwarze Meer und die Hafenstadt Hopa, wo wir unsere letzte Nacht verbringen. Schlagartig steigt auch die Luftfeuchtigkeit auf ungewohnte Werte und die Berge um uns herum sind plötzlich von dichtem Laubwald und Teeplantagen bedeckt. Wiederum erleben wir eine völlig andere Türkei als bisher, wir sind einmal mehr überrascht über die Vielfalt, die dieses Land zu bieten hat. Dann heisst es für uns hoşçakal türkiye! Zeit um dieses wunderbare Land und dessen Kuriositäten kurz zusammenzufassen:
- Etwas vom ersten was uns zum Thema Türkei einfällt, ist der allseits präsente Schwarztee Çay, der zu jeder Lebenslage und Tageszeit konsumiert wird und uns auch schon in den unmöglichsten Situationen angeboten wurde. So z.B. kürzlich am Postschalter, als wir ein Paket nach Hause schicken wollten.
- Ebenfalls durchs ganze Land bis ins hinterstundletzte Dorf präsent sind die Dönerläden, auch wenn wir von West bis Ost doch einige Unterschiede in der Zubereitung erkennen konnten (so wird in der Osttürkei z.B. ein dickeres Fladenbrot für den Dürüm verwendet). Übrigens kommt hier niemals Sauce in den Döner, nur Fleisch, Tomaten, Zwiebeln und Scharf. Kulinarische Abwechslung wie den klassischen Italiener sucht man hier vergebens – alle Türken essen lediglich türkisch, jeden Tag.
- Die Türken sind wohl das stolzeste Volk auf diesem Planeten. Hier ist alles „türk“ – Von Atatürk, dem Staatsgründer über Teletürk im Fernseher bis zum Türk-Fiat als Traktormarke, alles wird „vertürkt“!
- Während unserer Reise durch dieses riesige Land bekamen wir den Eindruck, die Türkei könnte sich selbst versorgen. Scheinbar alles wächst hier in diesen unterschiedlichen Klimazonen: div. Getreide, Mais, Tee, Aprikosen, Kirschen, Äpfel, Birnen, Trauben, Feigen, Datteln, Melonen, Erdbeeren, Bananen, Orangen, Zitronen, Zucchini, Auberginen, Kürbis, Paprika, Tomaten, Gurken, Oliven, Grünkohl, Salat, Spinat, Zwiebeln, Kartoffeln, Reis, Karotten, Kichererbsen, Bohnen, Pistazien, Mandeln, Haselnüsse, Kastanien, Baumwolle, Tabak u.v.m. Da praktisch nichts importiert wird, haben wir immer genau mitgekriegt was gerade Saison ist.
- In unserer letzten Woche in der Türkei haben wir mitgekriegt, dass es in einigen Essenslokalen getrennte Sitzordnungen gibt. So haben Frauen und Kinder, auch in Begleitung von Männern, immer im ersten Stock zu sitzen, im sogenannten aile salonumuz, also Familienbereich. Die Sitzplätze beim Eingang sind den Männern vorbehalten! Da sind wir wohl ein paarmal jemandem auf den Schlips getreten, setzten wir uns doch meist dort unten hin, da es mehr zu sehen gab. Teilweise beschwerten sich die Angestellten, aber wir dachten immer die wollen uns in die klimatisierte Zone im ersten Stock stecken! Hoppla.
- Die Farbe für die Fussgängerstreifen im Land könnte sich die Regierung sparen, denn als Fussgänger ist man im Strassenverkehr inexistent und hat gefälligst um sein Leben zu rennen.
- Praktisch das ganze Land ist eine einzige Strassenbaustelle, anscheinend will man überall gleichzeitig die alten Strassen durch neue vierspurige Strassen ersetzen.
- Unsere Lieblingswörter in Türkisch sind meist französischen Ursprungs (das ş wird wie „sch“ ausgesprochen): asansör, kuaför, şarküteri, trafik kontrol, professör, doktör, aksesuar, kamyon, hoparlör, döpiyes. Das unnötigste Wort, welches wir uns beigebracht haben: kepek ekmek (Vollkornbrot), denn das gibt es nirgends zu kaufen.
- Zum Schluss müssen wir den Türken und vor allem den Kurden ein grosses Kompliment in Sachen Gastfreundschaft aussprechen. In keinem Land haben wir uns bisher so willkommen gefühlt und wurde unsere Anwesenheit mit so viel Interesse bekundet wie hier! Çok teşekkür ederim!
Nach einem Vierteljahr in der Türkei verlassen wir das Land etwas wehmütig, da wir uns sehr wohl gefühlt haben. Auch wenn wir gerade kulinarisch etwas „kebabed out“ sind und uns auf neue Gerichte und Gewürze freuen, heisst es doch auch wieder Abschied nehmen von einer mittlerweile vertrauten Gegend und Sprache. Gerade in Sachen Gastfreundschaft und Grosszügigkeit stellten wir immer wieder beschämt fest, wie viel uns gegeben wurde. Auch wird uns der mittlerweile vertraute Ruf des Muezzins fehlen!
Unterdessen haben wir die Grenze nach Georgien überquert und uns in Batumi in einem Hostel für ein paar Tage eingerichtet. Auf unserer „To-Do“-Liste stehen nebst einem grösseren Veloservice inkl. Kettenwechsel die weitere Planung unserer Reise. Der kulturelle Unterschied zwischen den beiden Ländern könnte übrigens kaum grösser sein. Mehr dazu jedoch im nächsten Blog.
Huhu travelos.
Das tönt doch scho wieder einiges optimistischer vo euch!! Danke für dr blog. Ich mues denn dä bricht wäg de wasserkraftwärk mol go läse…
Luschtig mit däm kepek epmek. Ha grad müesse lache.
Gueti witerreis und immer es lache ufem gsicht 🙂
Umarmig
Sali zäme
Jetzt ben eg sehr gspannt uf Georgie. Vo de Türkei kennt mer jo chli öbis oder het scho dervo ghört. Aber Georgie esch för mech ganz es frömds Land. Wie send ächt die Gerogier? Wie gseht d’Landschaft us ond was ässe si?
So freu eg mech scho uf e nöchschti Brecht 🙂
Liebi Grüess
Claudia
Du meine Güte, so zackige Strassen dort, bergauf, bergab, und Ihr ganz allein drauf!!!!! Fährt denn ausser Euch niemand nach Georgien???? Ich bin froh, dass Ihr Euch gut erholt habt und wieder fahrtüchtig seid. Bin gespannt wie Plan B weitergeht. Ganz liebe Grüsse und hebet Sorg!
Mary-Jones
Juhui vom Tirol! Chiara het grad dr Bricht mitagluegt&Föteli kommentiert mit “Michael? Das Nora?” . Mälde uns spöter nomol. Mutzidruggers
Hallo zäme
Viele Dank für die vile Bricht und d’Zämmefassig über d’Türkei. Das isch extrem spannend gsi zum “mitreise” und das Land us dr Färni besser kennelerne. Jetzt wünsch ich euch vill Spass und witerhin tolli Erläbnis mit Plan B und bi gspannt ufe nöchst Bricht us Georgie.
Liebi Grüess
Barbara