Qom und Kashan

Let me pay for your food! Please, you can sleep in my house! Do you want some of my cookies? Dies sind einige Beispiele von erlebten Situationen hier im Iran. Bei jeder dieser Aussagen müssen wir uns genau überlegen, ob es sich um Ta’arof handelt, dem iranischen Höflichkeitsprinzip. Der Hintergrund dabei ist, es jedem Bürger zu ermöglichen jemandem aus Respekt etwas anzubieten, obwohl er es sich vielleicht gar nicht leisten kann. Grundsätzlich sollte man angebotene Sachen drei Mal ablehnen. Sollte der Anbieter dann immer noch darauf beharren, ist das Angebot ernst gemeint. Aber gilt das auch für Cookies, die uns von einem Passagier im Bus angeboten wurden? Ta’arof ist nicht immer einfach zu erkennen. Einzig beim ersten Beispiel, als ein junger Student unser Essen bezahlen wollte, waren wir sicher, dass es Ta’arof war. Als wir ablehnten, verabschiedete er sich ohne weiter darauf einzugehen.

Der Iran scheint voller ungeschriebener Verhaltensregeln: Naseputzen in der Öffentlichkeit geht zum Beispiel gar nicht, essen mit der linken Hand natürlich auch nicht. Männer sprechen fremde Frauen nie direkt an, schauen ihr auch nicht in die Augen (kann ich mir einfach nicht abgewöhnen). Gegenstände oder Geld sollte aus Respekt mit beiden Händen entgegengenommen werden u.s.w. Immerhin, den Dreh mit dem Geldsystem haben wir mittlerweile begriffen. Die offizielle Währung des Iran ist eigentlich der Rial. Dass aber immer alle von der alten Währung Toman sprechen und auch (fast) alle Preise in der 10x tieferen Währung angeschrieben sind, verwirrte zu Beginn doch etwas.

Allseits präsenter Ayatollah

Allseits präsenter Ayatollah

Mittlerweile sind wir seit etwas über zwei Wochen im Iran und haben uns grösstenteils an die Gegebenheiten des Landes angepasst. Gerade als Nora das obligatorische Kopftuch einigermassen in den Griff bekommt, erreichen wir die zweitheiligste Stadt Irans: Qom. In dieser Stadt steht ein architektonisch wunderbar anzuschauender Komplex mit einem Schrein, in welchem die Schwester von einem der 12 Imame begraben ist. In und um diese Anlage wimmelt es nur so von konservativen geistlichen Gelehrten. Frauen sind angewiesen einen Chador (Ganzkörperschleier) zu tragen, während die Männer mehrheitlich herumlaufen können wie sie wollen, obwohl Shorts auch nicht angebracht wären.

In Zanjan gab es sowohl Chador wie auch Hejab

In Zanjan gab es sowohl Chador wie auch Hejab

Interessanterweise stellen wir grosse Unterschiede zwischen den Städten und auch den ländlichen Gegenden fest. Während z.B. in Tabriz viele Frauen Make-Up tragen und das Kopftuch immer weiter nach hinten rutscht und mehr und mehr Haare zu sehen sind, erblicken wir in den kleineren Städten mehrheitlich verhüllte Frauen im schwarzen Chador. In konservativen Orten wie Qom trägt vielleicht noch eine von hundert Frauen keinen Chador. Natürlich fällt Nora in ihrem bunten Outdoorkleidern enorm auf, so dass ich ihr meinen schwarzen, für sie etwas unförmigen (perfekt!) Fleecepulli ausleihen muss. So werden wir von den zwar unverständlichen aber trotzdem deutlichen Beschwerden der Mullahs auf der Strasse verschont, schliesslich wollen wir hier ja niemanden brüskieren. Immerhin gibt es einen Chador-Verleihservice beim Eingang in das Gelände des Schreins. Insgeheim stellen wir uns bereits vor, wie wir quasi Inkognito durch das Gelände wandeln, niemand würde Nora als Touristin erkennen. Doch – Pech gehabt, die Verleih-Chadors sind keineswegs unauffällig schwarz, sondern in einem hellen Muster gehalten! Wieder fallen wir auf wie die bunten Hunde.

Hazrat-e Masumeh Shrine in Qom

Hazrat-e Masumeh Shrine in Qom

Hier gibt es besonders viele konservative Gläubige

Hier gibt es besonders viele konservative Gläubige

Gebetszeit in der Moschee auf dem Gelände

Gebetszeit in der Moschee auf dem Gelände

Nicht-Muslime sind auf dem Gelände willkommen, dürfen den Shrine selbst jedoch nicht besuchen

Nicht-Muslime sind auf dem Gelände willkommen, dürfen den Shrine selbst jedoch nicht besuchen

Trotzdem sind wir froh nach Qom gekommen zu sein, verbringen einige Stunden beim Schrein, nippen Tee und beobachten die Pilger aus aller Welt. Die Stadt ist im Vergleich zu den nördlicheren besuchten Orten schon eher arabisch geprägt. Der Verkehr hat etwas an Intensität gewonnen, viele Motorräder brausen durch die engen Gassen, das Leben ist etwas hektischer geworden und die Menschen haben etwas Distanz verloren. So müssen wir beinahe schon lachen, als wir mit unseren Velos ein Hotel suchen, uns umdrehen und merken, dass wir von einer Menschentraube verfolgt werden. Alle grinsen uns an und stellen lauter Fragen, dutzende Handys sind auf uns gerichtet. Wir posieren wie gewünscht für eine indische Pilgerfamilie aus Bombay (Come visit us in Bombay! mit typisch indischem Akzent und Kopfgewackel) und flüchten dann in unser fensterloses Zimmer. Immerhin hat das Billighotel eine Küche, so dass wir nach einem Einkauf auf dem Bazaar endlich mal wieder zu Gemüse kommen.

Nach unseren eiskalten Tagen im Schneegestöber bei Zanjan von letzter Woche geniessen wir nun die etwas milderen Temperaturen in Zentral-Iran. Iran im Winter zu besuchen hat durchaus auch seine Vorteile. So fahren wir von Qom nach Kashan entlang der Dasht-e-Kavir Wüste und können uns gut vorstellen, wie es hier im Sommer mit 45°C wäre. Statt dessen fühlen sich die 10°C mit Sonnenschein ganz wohlig an, sofern der Wind von hinten kommt, denn der ist ziemlich kalt! Dieser ist an diesem Tag jedoch unser bester Freund, denn wir erleben den stärksten Rückenwind seit Beginn dieser Reise! So fliegen wir die ersten 80km förmlich über die schnurgeraden Wüstenpisten. Ab einer Geschwindigkeit von 40km/h wären höhere Gänge erforderlich und wir hören auf zu pedalen – der Wind bläst uns jedoch teilweise noch bis 45-47km/h, ohne unser Zutun! Nicht auszudenken wenn wir einen solchen Wind gegen uns hätten! So erreichen wir in Rekordzeit das Tagesziel Kashan und richten uns in einem der traditionellen Hotels ein.

Entlang der Wüste nach Kashan

Entlang der Wüste nach Kashan

Mit starkem Rückenwind macht es doppelt Spass!

Mit starkem Rückenwind macht es doppelt Spass!

Blick zurück auf die geraden Strassen

Blick zurück auf die geraden Strassen

Hinein in die Sandwolke!

Hinein in die Sandwolke!

Kashan, eine Oasenstadt am Rande der Dasht-e-Kavir Wüste, war einst eine wichtige Handelsstadt, die noch heute über eine äusserst ergiebige Wasserquelle verfügt. Die ältesten Gebäude der Stadt reichen bis in die seldjukische Epoche zurück (1040-1194). Die Stadt besitzt einen grossen gedeckten Bazaar, welcher auch ursprüngliche Karawansereien und einen zum Teehaus umfunktionierten Hammam beinhaltet. Ebenfalls sehenswert sind die ehemaligen Herrenhäuser wohlhabender Kaufmänner aus dem 19. Jh. Lange Zeit dem Verfall preisgegeben wurden einige davon nun renoviert und zur Besichtigung freigegeben. Die teils 5000m2 grossen Anwesen mit mehreren Innenhöfen und getrennten Zonen für Familie, Personal und Gäste lassen einen erahnen, wie gut die Geschäfte für die Inhaber damals gelaufen sind.

Eines der riesigen Anwesen, dies ist der Gästebereich!

Eines der riesigen Anwesen, dies ist der Gästebereich!

Empfangshalle

Empfangshalle

Moscheegelände in Kashan

Moscheegelände in Kashan

Uns gefällt die arabische Architektur sehr

Uns gefällt die arabische Architektur sehr

Detail einer Moschee

Detail einer Moschee

Die Karawanserei im Bazaar von Kashan

Die Karawanserei im Bazaar von Kashan

Stundenlang wandern wir durch die Gassen der alten Bezirke der Stadt, staunen über die aus Lehm und Stroh erbauten alten Mauern im typischen Wüsten-Braun und entdecken an den alten Holztüren zwei unterschiedliche Klopfer. Der eine dick und klein und der andere gross und dünn. Diese gaben beim Betätigen jeweils einen anderen Ton ab, je nach dem ob ein Mann oder eine Frau an der Türe stand. So wussten die Bewohner sogleich, ob die Frau des Hauses ihren Schleier anziehen musste, um die Türe zu öffnen. Nur: Welcher Klopfer ist für wen? Sorry Frauen, aber leider ist der kleine dicke Klopfer für die weiblichen Gäste…

Beispiel einer alten Türe mit zwei Klopfern

Beispiel einer alten Türe mit zwei Klopfern

Solche Windtürme sorgen in den Sommermonaten für Ventilation

Solche Windtürme sorgen in den Sommermonaten für Ventilation

Ja, der Iran ist ein faszinierendes Land mit einer unglaublich reichen Geschichte und Tradition. Uns gefällt es sehr gut hier, einzig die Temperaturen machen uns etwas Sorgen. In den nächsten Tagen fahren wir nach Esfahan, wo wir uns noch etwas angenehmere Temperaturen vorstellten. Statt dessen erwartet uns eine Kaltfront, die die Tagestemperatur von momentan 15°C auf kalte 6°C tagsüber herunterdrückt. Nebst dem, dass wir etwas „Iran-Feeling“ vermissen (Iran verbinden wir einfach mit dem Attribut „heiss“), haben wir das grosse Problem mit dem Campieren, da unsere Ausrüstung keinesfalls für derart tiefe Temperaturen ausgelegt ist. Bereits jetzt fällt das Quecksilber Nachts auf unter null, was unsere Flexibilität ziemlich einschränkt. Wir merken jetzt ziemlich deutlich, dass wir zwei Monate zu spät dran sind.

Trotzdem, wir freuen uns riesig auf Esfahan, auf ein Wiedersehen mit Javid und Shadi, die wir in Georgien kennengelernt haben und bei welchen wir nun unterkommen können. Städte wie Yazd, Shiraz oder eben Esfahan verursachen bei uns einfach eine riesige Vorfreude und Gänsehaut, die aber nicht von der Kälte herrührt. Iran gefällt uns jedenfalls jetzt schon, obwohl wir die eigentlichen Touristenattraktionen noch gar nicht erreicht haben.

7 thoughts on “Qom und Kashan

  1. Huhu Travelos
    Wow! Ich bi grad chli baff ab dene tolle Bilder und däm Bricht…so faszinierend! Es tönt so spannend, was ihr do brichtet.
    Duet mer leid mit dr Kälti, aber viellicht münd ihr halt s campiere ganz wäg lo und immer in hotels übernachte…het au sini vorteil :-).
    Gniesset jede tag in däm spannende land.
    Umarmig vo dr basisstation

  2. Heeeyyy, jetzt verwöhned ihr uns jo scho wieder mit eme Hammer-Bricht! Aso das wiessi uf dem ainte Foti vo Zanjan isch aber scho Schnee oder?:-( die Begegnige sin sicher total spannend und speziell…absolut neui Verhaltensregle…! Hihi bi dr indische Familie isch mir sofort dr Ranjid alias Kaya Anar in Sinn ko:-) dä Himmel uf allne Föteli, SO schön, aifach tiefblau! Hey mit Ruggewind durch dWüeschti, e Hammer-Vorstellig! Das mit em Klopfer…. He jooooo die chline digge für dFraue….klaaar…! Bis bald wieder ihr zwei, macheds guet und hoffentlig bald wieder e biiiitz wärmer! Drugg Euch!

  3. Hallo Sportsfründe.
    Eure Bricht isch wie jedes Mol sehr spannend z lese. Die Kultur und all die unusprochene Verbindlichkeite (3 Mal ablehnen usw..) töned mega komplex.
    Ich finds aber toll, dass ihr wiiterhin uf so viel positivi Lüüt treffed.
    Bin gspannt uf euri nöchste Etappe.
    Ganz en liebe Gruäss
    und viel freud bim entdecke vo de Welt

    Bob

  4. Hallo zämme
    Nun verfolge ich eure Reise quasi “von der anderen Seite”, und schicke euch liebe, sommerliche und auch hier ebenfalls wiiiindige(!) Grüsse aus Neuseeland!

  5. Liebe Nora, lieber Miguel
    So interessant, was Ihr alles erlebt! Das werdet Ihr nie vergessen und wir dürfen immer an allem teilnehmen! Christine und ich haben diese Woche Hans und Käthi beim Einpacken und Putzenim alten und neuen Haus geholfen. Es gibt schon noch viel für sie zu tun! Heute zügelt Sandra und Roland endgültig nach Summaprada. Käthi und Hans räumen das Haus bis Ende Dezember. Christine und ich mussten nach Hause, da wir Kirchenchorprobe hatten und für Weihnachten üben. Gott sei Dank haben wir noch keinen Schnee, so muss Hans nicht noch Schnee putzen. Wie lange bleibt Ihr noch im Iran und wo geht ihr nachher hin? Christine hat im Moment die Grippe. Der liebe Gott verschont uns wirklich vom Unwetter. Danke! Wir bitten ihn jeden Tag, dass er denen beisteht wo Unwetter, Krieg, Hungersnot etc. herrscht und für die Reichen, dass sie ihr Geld den Armen zur Verfügung stellen und für die Politiker, dass sie für ihr Volk sorgen. Natürlich beten wir speziell auch für Euch, dass der liebe Gott Euch beschützt. In der Eucharistiefeier und vor der Krippe sind wir an Weihnachten ganz fest mit Euch im Herzen verbunden und falls ich nicht mehr zum Schreiben komme wünsche ich Euch jetzt schon viel Glück und Gottes reichsten Segen für Eure weitere Reise und Zukunft im neuen Jahr!
    Ganz herzliche, liebste Grüsse, auch im Namen von Christine,
    Gertrud

  6. Rruuz bakheyr
    Ich hoffe, ihr konntet den Schnee hinter euch lassen und seid nun wieder in wärmeren Gefielden. Der Bericht und die Bilder sind wieder einmal sehr spannend und interessant. Vielen Dank.
    Ich wünsche euch ganz schöne Festtage in der Ferne und dann einen tollen Start ins 2014! Ich freue mich bereits jetzt schon auf den nächsten Bericht und noch vieeeele weitere im 2014 🙂
    Barat Salamhaye faravan az samime ghalb mifrestam
    Barbara

  7. und wenn ich euch um was beneide, dann is:t es kein Stress an Weihnachten,
    keine Menschenmassen in unseren Strassen, Kaufhäusern usw.Die Messlatte der Gereiztheit liegt hoch in diesen Tagen. Wo immer ihr auch seid, schliesst mal die Augen und denkt euch zurück in die Schweiz.
    Für euch beide spannende Weihnachten und schöne und glückliche Erlebnisse auf eurer weiteren Reise. Ih verschlinge immer eure Berichte. Toll geschrieben!!
    Glückliche Weihnachtstage……………

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