Koja-yi hastin? Ruft mir der junge Mann aus dem Auto zu, als er uns während der Fahrt zwei süsse Granatäpfel aus dem Auto entgegenstreckt. Diese Frage verstehen wir mittlerweile problemlos, haben wir sie doch schon gefühlte 1’000-mal beantwortet: Woher kommst du? Meine Antwort (klingt genau wie das französische „Suisse“) zaubert ihm, wie den meisten, ein verzücktes Lächeln auf das Gesicht und er unterstreicht seine Begeisterung noch mit einem Aaah! bevor er sich winkend und mit Welcome to Iran! rufend davonmacht.
Nach erfolgreicher Verlängerung unserer Visa in Esfahan und der Einsicht, dass wir wohl die meisten grösseren Strecken mit dem Bus zurücklegen müssen, haben wir dafür genügend Zeit zur Verfügung, um uns ein völlig untouristisches Gebiet des Landes anzusehen. (Mit dem Velo in dieser Jahreszeit unterwegs zu sein gestaltet sich schwieriger als gedacht, da unser Equipment nicht wintertauglich ist und es ausserhalb der grösseren Städte kaum Hotels zum Übernachten gibt.) So sind wir nun unterwegs im Flachland zwischen dem Zagros Gebirge und der irakischen Grenze, im Südwesten Irans. Die Distanzen zwischen den Dörfern sind hier im Tagesetappenbereich und da wir fast auf Meereshöhe sind, betragen die Temperaturen jetzt im Winter auch angenehme 15-20°C, so dass wir auch auf Camping ausweichen könnten. Im Sommer gibt es hier dann regelmässig über 50°C! Die Gegend gehört zu den am längsten durchgehend besiedelten Gebieten der Welt und die Menschen hier empfinden wir sogar nochmals um einiges gastfreundlicher als bisher! Wer hätte gedacht, dass dies im eh schon überaus gastfreundlichen Iran möglich ist?
Nur schon in den ersten paar Tagen in dieser Region haben wir unzählige Situationen unbeschreiblicher Gastfreundschaft erleben dürfen. Zweimal wurde uns während voller Fahrt etwas aus dem Auto gereicht, x-mal wurden wir zum Essen oder privaten Übernachtungen eingeladen. Dies führte sogar soweit, dass uns ein übereifriger Gastgeber, bei dessen Familie wir die Nacht verbringen durften, am nächsten Morgen unnötigerweise mit seinem Auto über zwei Stunden lang (!) im Schneckentempo hinterherfuhr, damit wir auch ja nicht verloren gehen würden! Zwar sind die Schilder oft nur noch in Farsi angeschrieben, aber wir hätten uns problemlos zurecht gefunden. Alles intervenieren nützte hier nichts, die Iraner können ziemliche Trotzköpfe sein und sind oftmals sogar beleidigt wenn wir ihre Ideen nicht befürworten!
Am meisten berühren uns aber die vielen kleinen Momente unterwegs. Die Kontakte zu den Menschen am Strassenrand, die wohl nur mit dem Velo möglich sind, da wir so langsam fahren, dass uns viele spontan etwas zurufen oder zu sich winken. Dank den wärmeren Temperaturen sind die Menschen hier auch wieder vermehrt draussen anzutreffen. Allgemein haben wir noch nie so viele Begegnungen auf der Strasse erlebt wie hier im Iran. Vielleicht liegt es daran, dass jedes Jahr vergleichsweise wenige Touristen in dieses gastfreundliche Land kommen und die meisten nur gerade die bekannten Städte besuchen. Da ja grundsätzlich alles Westliche in diesem Land verboten ist und durch extensive Internetzensur auch nicht einfach an Informationen gelangt werden kann, sind wir für die Iraner natürlich wie eine süsse Versuchung. Einige werfen uns einfach ganz aufgeregt alle Wörter an den Kopf, die sie kennen (Hello! Thank you! How are you? Goodbye!), bevor sie schon wieder verschwunden sind. Andere können etwas besser Englisch und fragen uns oft auch konkret was die Menschen in unserer Heimat über den Iran denken.
So treffen wir zum Beispiel auf Saeid, als wir durch die links und rechts mit Zuckerrohr- und Wassermelonenfeldern gesäumten Strassen in Richtung Choqa Zanbil fahren. Er ist Polizist und sollte eigentlich Verkehrskontrollen durchführen. Zur Freude aller Autofahrer vergisst er aber alles um sich herum als er uns mit ein paar englischen und vielen persischen Wörtern ausführlich zu erklären versucht, dass es nur noch fünf Kilometer seien. Danach folgen einige Foto- und Videoaufnahmen mit seinem einfachen Handy für seine drei Kinder, begleitet von einem Fragenkatalog über uns. Sein Kollege organisiert derweil einen kleinen Snack für uns, quasi als Wegzoll von einem vorbeifahrenden Auto: zuckersüsse und superklebrige Stäbchen, die uns an Churros erinnern. Schliesslich verabschiedet er uns mit Very very thank you! und meint noch, wir sollen unterwegs mit ja niemandem sprechen, sondern einfach geradeaus fahren und nicht anhalten. Verwundert machen wir uns auf den Weg und finden bald den Grund für seine Besorgnis. Entlang der Strasse passieren wir eine kleine Siedlung aus Zelten, wahrscheinlich Nomaden aus dem Gebirge, die hier den Winter verbringen und wohl nicht den besten Ruf haben (wie bei uns die Roma). Kurz darauf folgen sehr ärmlich aussehende Häuser, auf den Strassen spielen Kinder und Jugendliche mit auffällig dunklerem Teint als derjenige der Perser: Dabei handelt es sich um arabisch-stammende Flüchtlinge aus dem Irak, die während dem Iran-Irak Krieg 1980-88 hierher geflohen sind. Auch in den Städten dieser Region haben wir neuerdings viele Araber gesehen. Sie sind gut erkennbar an ihrer Kleidung: Weisser bodenlanger Nachthemd-artiger Umhang, darüber ein dunkles Jackett und auf dem Kopf den typischen schwarz- oder rot/weissen Schal als Turban. Jedenfalls kein Grund zur Besorgnis, denn die Kinder begrüssen uns so überschwänglich wie immer. Als wir gegen Mittag bei der Anlage von Choqa Zanbil ankommen, lädt uns der nette Ticketverkäufer spontan ein, bei ihm zu Hause zu übernachten – er wohnt in ebenjener einfachen Siedlung, die wir vorher passiert hatten. Wieder einmal erleben wir, wie diejenigen am meisten geben, die kaum etwas haben. Würden wir zu Hause auch spontan fremde Leute in unsere Wohnung bitten? Wahrscheinlich nicht. Schlussendlich sagen wir ihm aber ab, da wir noch den ganzen Nachmittag Zeit haben in die nächste Stadt zu kommen und für den nächsten Tag Regen gemeldet ist.
Choqa Zanbil gehört zum Unesco Weltkulturerbe und zu den Hauptattraktionen der Region. Der mächtige, einst fünfstöckige Tempel wurde Mitte des 13. Jahrhunderts vor Christus von den Elamiten erbaut und verschwand ab 640 BC langsam unter dem Sand, nachdem die zugehörige Stadt in einem Krieg mit den Assyrern vernichtet wurde. Erst über 2’500 Jahre später wurden die Überreste dieses sogenannten Ziggurats wieder entdeckt und freigelegt. Die Ziegelsteine, welche durch die Konservierung im Sand bestens erhalten blieben, sehen teilweise aus als wären sie erst gestern verbaut worden. Sogar die Inschriften in Keilschrift, des weltweit ersten Alphabets, sind auf einigen Ziegelsteinen noch bestens erkennbar. Der obere Teil des Tempels ist jedoch grösstenteils zerstört.
Auch die benachbarten Städte Shush (das biblische Susa) sowie Shushtar haben eine interessante Vergangenheit. So war Shush eine der grössten und einflussreichsten Städte im antiken Persien, vergleichbar mit dem bekannten Persepolis nahe Shiraz. Alexander der Grosse heiratete hier eine der Töchter des besiegten Achaemeniden-Herrschers Darius III. Leider sind von der damaligen Stadt nur noch die Fundamente des Palastes übrig.

Das Fort in Shush wurde vom französischen Archäologenteam erbaut, aus den Ziegelsteinen der verfallenen Bauwerken, als Schutz gegen Räuber

Nach der Revolution 1979 wurden die Ausgrabungen eingestellt – das gesperrte Gebiet erstreckt sich aber bis an den Horizont und ist übersät mit tönernen Scherben – die Stadt muss riesig gewesen sein
In Shushtar hingegen können wir noch einige Bauwerke der damaligen Zeit besichtigen. Fasziniert staunen wir über den mächtigen Damm Band-e-Mizan sowie die zum Teil zerstörte Brücke Pol-e Shandravan, welche den Pegel des Rud-e Karun Flusses um bis 2m erhöhte, um das Wasser durch künstliche Kanäle bis zu den nahegelegenen Wassermühlen führen zu können. Diese architektonische Leistung konnte nur mit Hilfe der gefangenen römischen Legionäre erbracht werden, welche 259 AD bei Edessa (heute Şanlıurfa in der Türkei) vom Sassanidenkönig Shahpur I. besiegt wurden. Die Legionäre wurden hier zur Fronarbeit verdonnert, während ihr ebenfalls gefangen genommener römischer Kaiser Valerian ein unbestimmtes Schicksal ereilte. Valerian blieb der einzige Kaiser der Römer, welcher jemals lebend gefangen wurde.

Die architektonische Leistung (der Römer) wurde von den einfallenden Arabern im 7. Jh als Weltwunder angesehen
Eine Woche verbringen wir in dieser interessanten Gegend, tauchen dabei tief in die Geschichte ein und staunen über die Leistungen der damaligen Zeit. Aber auch hier, wie schon auf dem Naqsh-e Jahan Platz in Esfahan, ist es schwierig sich einfach hinzusetzen und die Gedanken schweifen zu lassen. Wir fallen auf wie bunte Hunde und werden von jeder zweiten Person mit mindestens einem Hello! begrüsst. Die mutigeren fragen woher wir sind und die noch mutigeren geben mir zwei Küsschen auf die Wangen und dann noch einen auf die Stirn – so passiert am Taxi-Ecken in Shushtar, wir sind trotzdem zu Fuss weiter. Interessant ist auch die eindeutige Geschlechtertrennung im Alltag. Männer halten zu Männern und Frauen zu Frauen. Spricht uns ein Mann an, redet er immer mit mir. Allgemein bin ich die Kommunikationszentrale für alle Anfragen oder Auskünfte. Zimmerbuchungen, Restaurant-Bestellungen, Zahlungen im Supermarkt oder auf der Bank, Tragen der Einkäufe – alles Männersache. Die Frauen schmeissen dafür den Haushalt zu Hause, Glück für Nora dass wir keinen Haushalt haben! Spricht uns jedoch einmal eine Frau an, bin ich Luft. Dann wird ausschliesslich mit Nora gesprochen und ich werde keines Blickes gewürdigt. Bereits in der Grundschule werden die Geschlechter getrennt, im Bus sind die Frauen hinten und die Männer vorne (ja nicht falsch einsteigen!) und iranische Pärchen kriegen im Hotel getrennte Zimmer sofern sie nicht verheiratet sind.
In Shushtar verbringen wir auch den wohl schrägsten Silvester bisher. Da die Iraner ihren eigenen zoroastrischen Sonnenkalender benutzen, feiern sie ihr Neujahr am 21. März. Das heisst, wir sind die einzigen weit und breit, die am 31. Dezember in ein neues Jahr übergehen, andere Touristen haben wir hier nämlich auch keine gesehen. Es wird wohl auch das einzige Mal bleiben, wo wir keinen Prosecco auftreiben können.
Kurz bevor wir unsere Velo-Rundreise im Südwesten abschliessen und mit dem Bus nach Shiraz fahren wollen, erwischt uns mal wieder eine Polizeikontrolle. Wieder müssen wir unzählige Fragen beantworten und diesmal wird auch unser Gepäck Stück für Stück genauestens auseinander genommen. Obwohl wir ziemlich genervt sind, müssen wir schmunzeln als der Beamte fragend einen von Noras Tampons in die Luft hält. Wahrscheinlich weiss der Gute nicht, was er da in der Hand hält, denn zu kaufen gibt es die hier nirgends! Erst rund 2,5 Stunden später, nachdem sie auch noch alle Fotos durchgesehen haben, lassen sie uns wieder gehen. Leider zu spät um unser Ziel noch bei Tageslicht zu erreichen – so fahren wir die letzten 15 km in der Dunkelheit auf unbeleuchteten Strassen. Einmal mehr sind wir froh um unsere Velolichter!
Etwas erschöpft von so viel Gastfreundschaft in den letzten sieben Tagen, dem Tag auf dem Velo und der stundenlangen Polizeikontrolle sitzen wir gleich nach Ankunft etwas Iran-müde mit einem Bärenhunger im Restaurant gegenüber von unserem Hotel. Der Chicken Kebab steht innerhalb von 10 Minuten nach der Bestellung vor uns, da spricht uns erneut ein Iraner an. Woher wir sind und ob wir bei ihm übernachten wollen? Wir lehnen dankend ab, haben wir doch soeben im Hotel eingecheckt. Abdol Hassan, der nette Herr, zückt darauf hin kurzerhand sein Portemonnaie und bezahlt unser Abendessen, unsere Widerrede lässt ihn unbeeindruckt. Für Notfälle gibt er uns noch seine Telefonnummer und wünscht uns dann eine gute Weiterreise! Einmal mehr sind wir sprachlos über dieses Wohlwollen uns Ausländern gegenüber.
Nach diesem interessanten Abstecher in den warmen Südwesten des Landes sind wir bereit für Shiraz, eine weitere Stadt mit einem so vielversprechenden Namen. Mit dem Bus rumpeln wir durch die Nacht und nehmen Abschied von den warmen Temperaturen.
Hallo Ihr Lieben
Woow, das klingt ja sensationell, was ihr in den letzten Tagen und Wochen im Lande der Perserkönige erlebt habt und wohl weiterhin erleben werdet. Wahnsinn, wenn man immer wieder über Alexander den Grossen, Dareius und Co. liest und dann vor diesen Monumenten steht. Hühnerhautfeeling, ganz so wie ihr es beschreibt.
Hier haben wir nicht ganz so warm und das Leben ist wohl ziemlich ein anderes, aber alles an seinem Ort und zu seiner Zeit ;-))
Also dann, vielen Dank für die Teilhabe an diesen wunderbaren und vor allem GESCHICHTSTRÄCHTIGEN Gebieten.
Herzlich
Regu
Ihr Liebe! Wunderbar vo Euch z’ghöre! Ha doch e paar mol inegluegt syt Eurem letschte Bricht und ha mi hüt Morge denn riesig gfreut über dr neui Idraag:-) Hüt Nomi no im Büro inegluegt und dorum erscht jetzt drzue cho, alles genau z’läse! Ich cha mir vorstelle, dass es rächt speziell isch, z’wüsse, dass für aim sälber e neuis Joor afangt, aber däm Gebiet wo me isch, isch alles bim Alte…:-) Oh je, Polizeikontrolle, das hät mi au stinggig gmacht, aber dä mit em OB isch drfür jo wieder “galgehumorig”. Die Römer sin aifach scho dr Zyt vorus gsy, unglaublich die architektonische Wunderwärk uf dr ganze Wält, do chöne Herzog& de Meron jo grad abstingge…:-) Bi uns isch dr Winter bishär nur halbbatzig und eher in Form vo Räge itroffe…! Irgendwie isch es au do fascht e bitz friehligshaft, me chönt sich fascht dra gwöhne! Händer s’Visum scho beatreit zum nochli bliebe? Ich verstand sehr guet, dass es no mängs zum gsee git in däm schöne Land! Macheds guet, digge Drugger
Huhu Travelos!
Danke für dä tolli Bricht und die Föteli…bi ächt beeidruckt!
Gäbet euch Sorg und hebets guet.
En liebe Gruess vo dr Basisstation
Sehr eindrücklich!! zu lesen wie Ihr in diesen sooooo alten und geschichtsträchtigen Gegenden umherschweifen dürft. Durch Text und Bilder lerne ich so viel, und ich schaue es immer wieder als ein Privileg an, auf diese Weise mit Euch “mitreisen” zu dürfen. Wie ist das eigentlich wenn Ihr mit dem Bus 5, 6 Stunden fährt, muss dann Nora auch hinten sitzen und Michael vorne? Jetzt seid Ihr ja in Shiraz, diese Stadt ist ja im Gebirge wie ich im Atlas sehen konnte (so um die 1000 m ü.M. oder doch nicht ganz?) sitzt Ihr dort im Schnee fest? Ich hoffe doch sehr, dass Ihr trotzdem bis Persepolis fahren könnt. Immer wieder sehr gespannt auf Eure Berichte sage ich: “Hebet’s guet und hebet Sorg und lönd Euch ned verschleppe.” Mit lieben Grüssen
Mary-Jones
Salaam zäme und dangge für euri Kommentär!
Schwesterli, s Visa hämer chöne uf insgesamt 60 Täg verlängere, das längt uns zum unde am Persische Golf chöne uszreise. Mr würde zwar gärn no länger blibe, aber anderersits lockt d Wärmi im Süde doch au sehr! 😉
MaryJones: Guet überleggt! D Trennig erfolgt aber hauptsächlich in de lokale Liniebüs. Uf Langstreckebus wird eifach gluegt dass d Sitzplätz so verteilt wärde, dass nid Männer und Fraue näbenander sitze wo sich nid kenne. Für uns also kei Ischränkig.
Shiraz liegt uf über 1500m und gester hets dr ganz Tag dicki Flocke gschneit… wird aber wider besser.
Liebe Gruess euch allne!
Hey Ihr Liebe
Ich schigg Euch herzlichi Griess us Basel, finds immer wieder super bi Euch im spannende Blog go mitzlese.
Big kiss, Lex
Hey Lex
Schön dass immer no mitliesisch! Das het mi jetzt grad sehr gfreut.
Liebe Gruess zrugg us Yazd,
Nora
liebe Götti, liebi Nora
au ich reis immer wieder mit Euch mit. i lueg gärn Euri Föteli a und freu mi ab Euerne Charte. Jetzt hani scho e ganzes Biigeli. Danke viiielmol!!
E wundervolls Giggele
Jannis